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Politikberatung in der Braunzone

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und seine Chefin Charlotte Höhn / Eine Einrichtung mit übler Vergangenheit / 1975 wurde es mit Hilfe der sozialliberalen Koalition gegründet  ■ Von Ludger Weß

Das Bundesinnenministerium stellt sich schützend vor Charlotte Höhn, die Chefin des Instituts für Bevölkerungsforschung. Offenbar hat das Ministerium nicht begriffen, daß der Fall Höhn nur eines der vielen Indizien dafür ist, daß im Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung seit Jahrzehnten unheilvolle Traditionen gepflegt werden.

„Probleme des nationalen Geburtenrückgangs, Migration in Europa und die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern auf dem Bevölkerungssektor“ – diese Themen nannte der erste Direktor des Instituts, Hans Wilhelm Jürgens, 1975 als Zukunftsaufgabe seines Instituts. Zu diesem Zweck entfaltete es eine reichhaltige Forschungs- und Gutachtertätigkeit – meist im Auftrag der Bundesregierung und ihrer Ministerien. Zudem gibt es die Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft – Demographie, eine Schriftenreihe und Materialien zur Bevölkerungswissenschaft heraus.

Die Gründung des Instituts – übrigens war es der sozialliberale Innenminister Hans-Dietrich Genscher, der den Gründungserlaß 1973 unterzeichnete – war ein Sieg einer verschwiegenen, aber hartnäckigen Lobby. Sie bestand aus einschlägig vorbelasteten Bevölkerungswissenschaftlern, Soziologen, Anthropologen und Statistikern des NS-Regimes: Der Rassenhygieniker Otmar von Verschuer gehörte ebenso zu diesem Kreis wie der Asozialenforscher Siegfried Koller, der an der statistischen Erfassung der Juden beteiligte Bevölkerungswissenschaftler Friedrich Burgdörfer und der in Zwangssterilisationen verwickelte Sozialhygieniker Hans Harmsen.

Diese illustre Gruppe gründete Anfang der fünfziger Jahre zwei Vereinigungen, die als Auffangbecken und Netzwerk der führenden Köpfe der NS-Rassen- und -Bevölkerungbiologie dienten: die Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft und die Deutsche Akademie für Bevölkerungsforschung, die trotz ihres offiziell klingenden Namens ein Privatverein war. Hier wurden Berufungen ausgekungelt, Kongresse vorbereitet, Schüler empfohlen und diskrete Kontakte zur Adenauer- Regierung geknüpft.

Die „Akademie“ hatte in den Anfangsjahren des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung beträchtlichen Einfluß auf desssen inhaltliche Ausrichtung: Der Akademie wurde das Recht eingeräumt, die sechs wissenschaftlichen Mitglieder des Kuratoriums zu benennen; das Kuratorium beriet das Bundesinstitut in Forschungsfragen und schlug den jeweiligen Direkor vor.

Auch Hans Wilhelm Jürgens, Jahrgang 1932, entstammt diesem Netzwerk und den dort gepflegten wissenschaftlichen Traditionen. Seine 1961 erschienene Habilitation über die Biologie der Asozialität besteht zu großen Teilen aus der Übernahme ganzer Passagen einschlägiger NS-Standardwerke. Jürgens macht sich darin unter anderem die These zu eigen, daß „Asozialität“ erblich und an bestimmten körperlichen Merkmalen erkennbar sei.

Er schließt sein Werk mit der Forderung nach Sterilisierung der „Asozialen“. Noch während seiner Amtszeit als Direktor wurde Jürgens Mitherausgeber der anrüchigen Zeitschrift Mankind Quarterly, in der rassistisches und antisemitisches Gedankengut pseudowissenschaftlich verbreitet wird.

Anfang der achtziger Jahre tat sich das Institut mit Festschriften hervor, in denen Experten des „Dritten Reichs“ – wie der Bevölkerungspolitiker Hans Harmsen oder der Asiozalenforscher Siegfried Koller – geehrt wurden. In diesen von der Bundesregierung geförderten Schriften durften auch die altgedienten Kollegen noch einmal zu Wort kommen und die „alten Zeiten“ beschönigen.

Verharmlosend war auch eine 1990 herausgegebene Bibliographie, in der das Bundesinstitut der Rassenhygiene des „Dritten Reichs“ einen Persilschein ausstellte.

Die nach Intervention der SPD- Bundestagsabgeordneten Edelgard Bulmahn zurückgezogene Publikation stellte die Eugenik und Rassenhygiene des Nationalsozialismus als wissenschaftlich fundiert dar und sprach die Bevölkerungswissenschaft frei von jeder politischen Verantwortung für die Aussonderungs- und Vernichtungspolitik der NS-Diktatur.

Es paßt ins Bild, daß sich weder das Institut noch die Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft je kritisch mit ihren Gründungsmitgliedern, ihrer Tradition und ihren Thesen auseinandergesetzt hat. Dabei wurde Hans Harmsen schon vor Jahren von pro familia als Ehrenpräsident abgesetzt. Und die Deutsche Region der Internationalen Biometrischen Gesellschaft untersuchte in einem Gutachten ausführlich die Forschungstätigkeit von Siegfried Koller und distanzierte sich 1990 entsetzt von ihrem Ehrenmitglied. Koller wird in diesem Gutachten eindeutig die gezielte Manipulation des Datenmaterials nachgewiesen.

Das Institut hat in den letzen Jahren sehr viel über den Zustrom von Ausländern und dessen demographische und wirtschaftliche Konsequenzen geforscht und die Bundesregierung beraten. Angesichts der fehlenden Distanz zu Ideologie und Methoden der Bevölkerungspolitik der NS-Diktatur ergibt sich der schlimme Verdacht, daß das Institut – wiederum ganz in der Tradition eines Siegfried Koller – Fakten und Material zurechtgebogen haben könnte.

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