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Der Tod ist immer da und nie vergeblich

Natursymbolik, revolutionäre Stoffe und das Verhältnis zur Sowjetmacht: Morgen wäre der sowjetische Filmemacher Alexander Dowshenko 100 Jahre alt geworden – im Arsenal-Kino läuft derzeit eine Retrospektive  ■ Von Jörg Becker

Als der erste Poet der sowjetischen Filmkunst ist der gebürtige Ukrainer Alexander Dowshenko in die Filmgeschichtsschreibung eingegangen. Sein Werk bildet ein „klassisches Dreieck“ mit Eisensteins dramatischer und Pudowkins epischer Linie.

Bestimmend für die Ästhetik von Dowshenkos Filmen ist, daß in ihnen elementare Naturerscheinungen in revolutionäre Stoffe aus den ersten Jahrzehnten der Sowjetunion integriert werden. Dowshenko kann als der eigentliche Dialektiker des Alten und des Neuen gelten, der es verstand, zwischen den märchenhaften Wurzeln und Volkslegenden einer uralten Vergangenheit, Natur und politischer Zukunftsperspektive einen bildlichen Austausch herzustellen.

Der am 11. September 1894 im Gouvernement Tschernigow in der Ukraine geborene Alexander Dowshenko besucht ein Lehrerinstitut, die einzige Ausbildungsmöglichkeit für den Sohn eines mittellosen Bauern. Später, in Kiew, wird er Mitglied der Kommunistischen Partei, über die er schließlich 1921 eine Tätigkeit im diplomatischen Dienst erhält. Als Sekretär des Generalkonsulats der Ukraine kommt er u.a. nach Berlin und München. Dort besucht er eine private Kunstschule. 1923 nach Charkow abberufen, arbeitet „Saschko“ als Karikaturist und Illustrator.

1926 ändert Dowshenko sein Leben: Er beginnt in der Odessa- Filmfabrik als Regisseur und Drehbuchautor zu arbeiten. 1927 dreht er mit „Svenigora“ einen stilistisch eigenen Film. „Ich wollte den Zuschauer zum Denken zwingen“, sagt er bei der Erstaufführung im Studio. Der erst lange nach seinem Tod wiederentdeckte Film offenbart Dowshenkos Vorliebe für regionale, ukrainische Legenden, für mythische Bilder und Farbelelemente, durchbrochen von realistischer Präzision insbesondere in den Porträts. Im darauf folgenden Revolutionsepos „Arsenal“ (1929) steigert sich das noch zu satirischer Drastik.

Dowshenkos Landschafts-Totalen sind einzigartig in ihrer enormen Weite: Himmel und Erdoberfläche unterteilt er so, daß die Erde nur ein Fünftel bis ein Zehntel des unteren Bildraums einnimmt. Mit Ausnahme der russischen Avantgarde jener Jahre gibt es dafür keinerlei Vorbilder in der bildenden Kunst, sieht man von der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts ab. Gleichzeitig entwickelt Dowshenko einen immer stärker werdenden Zug zum Pathos, zur Ausprägung einer eigenen revolutionären Hagiographie (nicht zuletzt im Konflikt mit einer bereits im Skript immer minutiöser an der Gestaltung des positiven Helden sich abarbeitenden sowjetischen Kulturbürokratie).

Die Naturmetaphern brachten Dowshenko anfangs massive Kritik ein; ihm wurde Pantheismus, Biologismus, sogar ukrainischer Nationalismus vorgeworfen – in seiner Autobiographie sieht sich Dowshenko beim Film als einen von den Kontrollorganen der Partei argwöhnisch beurteilten Kleinbürger, ideologisch unverläßlich. Es wurde jedoch die längste Zeit verkannt, wie stark eine thesenhafte politische Thematik verschlungen war mit jenem lyrisch- pantheistischen Element Dowshenkos: letztlich siegt immer die Natur über den Tod, der Mensch über die Verhältnisse.

In „Arsenal“ gipfelt eine Schilderung aus vorrevolutionärer Zeit – die blutige Niederschlagung des Aufstands in einer Munitionsfabrik in Kiew – in der Unverwundbarkeit des jungen kommunistischen Helden Timosch, Ziel der Kugeln eines Exekutionskommandos. Und in „Erde“ (1930), Dowshenkos Chef-d'×uvre, geht eine alle Verhältnisse überwölbende Natur die Verbindung ein mit der zeitgenössischen Kampagne der Kollektivierung und Mechanisierung der Landwirtschaft, des Aufbaus von Kolchosen und des Kampfes gegen die Kulaken (Großbauern).

Dowshenko schafft Naturbilder, die eine zugleich tröstende und kämpferische Hymne auf die „Dialektik der Natur“ sind: unter einem weiten Himmel wogendes Korn, schwankende Sonnenblumen, ein mildes Abendlicht setzt schimmernde Glanzlichter auf Äpfel, Kürbisse und Blüten, in einem fruchtbaren, strömenden Regen. Der Tod, in Dowshenkos Werken immer anwesend, ist nie vergeblich; er ist nie das Ende eines Films, vielmehr ein Ausdruck des „Stirb und werde“, einer zyklischen, überindividuellen Betrachtungsweise.

Dowshenkos erster Tonfilm, „Iwan“ (1932), geht aus von einem aktuellen Thema: dem Bau eines Wasserkraftwerks am Dnjepr, und verfolgt die politische Bewußtwerdung eines Bauern. „Aerograd“ (1935), eine imaginäre Stadt am Rande des Pazifischen Ozeans, verbindet in seiner Handlung die Apotheose sowjetischer Macht mit dem Bürgerkrieg im Osten, wo sich die japanischen Eindringlinge in den sibirischen Wäldern verloren ausnehmen. Grandiose Wolkentableaus und Luftaufnahmen durchziehen den Film, der schließlich, in der Gestalt eines arktischen Felljägers, der durch die Taiga nach „Aerograd“ eilt, das Alte, mythisch Naturverbundene aufschließt zur modernen sowjetischen Gegenwart, die in Gestalt eines strahlenden Fliegers den Himmel beherrscht.

„Schtschors“ (1939) entstand am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, auf Anregung von Stalin selbst: ein roter ukrainischer Partisanenführer im Kampf mit polnischen Nationalisten. Das pathetische Bild des unfehlbaren Helden mitsamt allen historischen Retuschen dürfte eng mit der Kontrolle durch die Kultur-Apparatschiks und Stalin zusammenhängen.

In den Tagebuchaufzeichnungen Dowshenkos findet sich immer wieder massive Kritik an der Mediokrität des stalinistischen Funktionärstyps, eine ungeheure Ernüchterung kommt zum Ausdruck. Dowshenko spricht von den „neuen Kulaken“ (1949). Bei Kriegsbeginn leitet er ein Frontaufnahmeteam und dokumentiert die Angliederung der Westukraine – ein Resultat des deutsch-sowjetischen Geheimabkommens – unter dem Titel „Befreiung“.

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion geht er als Freiwilliger an der Front, dient als Frontberichterstatter und dreht zwei Dokumentarfilme. Gegen Kriegsende beginnt Dowshenko den Spielfilm „Mitschurin“ (1949), um den gleichnamigen russischen Biogenetiker und Pflanzenzüchter. Dowshenko selbst war leidenschaftlicher Gärtner und Landschaftsgestalter. Zeitgenossen heben das beeindruckende Äußere dieses Mannes hervor, der etwas von seinen Heldenfiguren ausgestrahlt habe; auf Porträtfotografien erscheint sein Gesicht oft wie in Stein gehauen.

Während der letzten fünf Jahre seines Lebens, bis zu seinem Tod am 25. November 1956, lehrt Dowshenko am Staatlichen Filminstitut (WGIK). Drei seiner aus dieser Zeit stammenden Drehbücher, „Flammende Jahre“, „Poem vom Meer“ und „Verzauberte Desna“ verfilmte seine Frau Julia Solnzewa.

Heute, 18 Uhr: „Iwan“ (OmÜb), morgen, 20 Uhr und 16.9., 20 Uhr: „Semlja“ (OmÜb), 12.9., 20 Uhr: „Aerograd“ (OmÜb), 13.9., 10 Uhr: „Schtschors“ (OmÜb), 14.9., 20 Uhr: „Mitschurin“ (OmÜb), weiteres Programm erfragen, Arsenal, Welserstraße 25, Schöneberg, Tel.: 218 68 48

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