: Der Gast darf nicht verärgert werden
Chinas Präsident Jiang besucht Frankreich, das Aufträge in Milliardenhöhe erwartet / Gute Atomzusammenarbeit / Mitterrand will Menschenrechte ansprechen ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Mit einem Demonstrationsverbot für DissidentInnen empfing Paris gestern den chinesischen Präsidenten Jiang Zemin. Die Maßnahme sei im Interesse der „internationalen Beziehungen der Republik“ und aus „Sicherheitsgründen“ notwendig, rechtfertigte sich das Polizeipräsidium. Der Aufwand scheint sich zu lohnen: Die französische Industrie erwartet Aufträge in Höhe von 15 Milliarden Francs (4,5 Milliarden Mark) von dem fünftägigen Staatsbesuch.
Bereits an der ersten Station des Jiang-Besuches hatte die Marseiller Polizei am Donnerstag eine Demonstration tibetischer MenschenrechtlerInnen untersagt. Einem anderen chinesischen Spitzenpolitiker hatten DemonstrantInnen vor wenigen Wochen in München und Berlin schwer zugesetzt: Li Peng, der darob sein Programm in Deutschland radikal verkürzte. Aus dem französischen Außenministerium verlautete, daß die chinesischen Behörden im Vorfeld des Jiang-Besuches entsprechenden „Druck“ ausgeübt hätten.
Die Lage der Menschenrechte in China sprachen 30 französische Intellektuelle, darunter der Schriftsteller Alain Touraine, in einem offenen Brief an Jiang an. Sie forderten die Freilassung der politischen Gefangenen. Staatspräsident François Mitterrand ließ durch einen Berater versprechen, daß auch er das Thema „auf jeden Fall“ ansprechen werden.
Vor dem Jiang-Besuch war in Frankreich jedoch vor allem von Geschäften die Rede. Die franko- chinesischen Beziehungen waren 1992 nach dem Verkauf von 60 Kampfflugzeugen des Typs Mirage 2000 an Taiwan auf einem Tiefpunkt gelandet. Peking schloß das französische Konsulat in Kanton. Angeblich kamen bei der Gelegenheit auch mehrere bereits „unterschriftsreife“ Verträge zu Fall.
Im Januar dieses Jahres — drei Jahrzehnte nachdem General Charles de Gaulle als erster westeuropäischer Staatschef einen Botschafter in das kommunistische China geschickt hatte — erwärmten sich die offiziellen Beziehungen zwischen Paris und Peking wieder. Als Regierungschef Edouard Balladur im April seinen Besuch in China machte, verpaßte die chinesischen Regierung dem Franzosen jedoch eine diplomatische Ohrfeige: Sie signalisierte ihm zwar gute Geschäfte, inhaftierte aber während seines Besuches sechs prominente Dissidenten. Balladur seinerseits lud nicht wie erwartet seinen Amtskollegen Li Peng – einen der Hauptverantwortlichen des Tiananmen-Massakers – zum Gegenbesuch ein, sondern den Präsidenten Jiang, der im Juni 1989 im Shanghai weilte. Jiangs sagte zur jüngsten chinesischen Demokratiebewegung in einem Interview: „Viel Lärm um nichts.“
Mit Jiang, der in China als „Mann der Elektroniklobby“ gilt, will die französische Regierung an diesem Wochenende Verträge über den Ausbau des AKWs von Qinshan, über ein Wasserkraftwerk, eine Nylonfabrik, eine Modernisierung des Telefonnetzes und zahlreiche andere Industrieanlagen unterzeichnen. Wenn der Staatsbesucher dies zuläßt, werden seine Gastgeber sicher auch über die Frage der atomaren Rüstung sprechen wollen. Unter anderem würde Paris gern mehr über die chinesische Zusammenarbeit mit „Risikoländern“ erfahren — unter anderem mit Algerien.
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