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„Offensiv Positiv“ gegen die Angst

Gestern ging die 5. Bundesversammlung der Menschen mit HIV und Aids zu Ende / Celia-Bernecker-Preis an Professor Friedrich Bschorr verliehen /  ■ Aus Stuttgart von Heide Platen

So viel Gelächter wie auf dieser 5. Bundesversammlung der Menschen mit HIV und Aids – eben „Offensiv Positiv“ – gab es noch nie. Selbsterkenntnis, aber vor allem Selbstironie und Humor bestimmten die vier Tagen im Stuttgarter Hotel „Maritim“. In der Eröffnungsveranstaltung am Freitag hatte Ralf Rötten vom Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) auch den Grund von so viel Gelassenheit genannt: „Positiv zu sein ist keine Qualifikation, es ist aber gewiß eine Erweiterung des Erfahrungsschatzes.“

Und jubelnd dankte der Kongreß dem Berliner Medizinprofessor Friedrich Bschorr, der den Celia-Bernecker-Preis erhielt. Diese Münchnerin, 1993 an Aids gestorben, hatte sich „mutig, kämpferisch und streitbar“ und „öffentlich“ für mit HIV und Aids infizierte Menschen eingesetzt. Bschorr erhielt die Auszeichnung für seinen jahrelang vergeblichen Streit um den Einsatz von Methadon. Werner Hermann von der Selbsthilfeorganisation der Heroinabhängigen, JES: „Mit Friedrich Bschorr werden das öffentliche Wort und die Humanität geehrt.“

Bschorr erinnerte in seiner Dankesrede noch einmal an den fast zwanzig Jahre vergeblichen Kampf um die Substitution, an die Anfeindungen und die Kollegenschelte und vor allem daran, daß sehr viele Ärzte Ermittlungs- und Strafververfahren erdulden mußten. „Viel Leid hätte verhindert werden können“, sagte er und kritisierte, daß Methadon noch heute nur an Schwerkranke vergeben werden dürfe, „die schon all ihrer Chancen beraubt sind“.

Wolfgang dagegen strotzte vor Lebensenergie: „Ich bin der einzige stadtbekannte HIV-Infizierte in Recklinghausen.“ Schon zuvor war er der erste Schwule in seiner Stadt, der sich zu seinem Schwulsein bekannte, erzählte er. Der ehemalige Bergmann arbeitete damals unter Tage und wurde „trotzdem“ Jugendvertreter und Betriebsrat. Heute ist er Rechtsreferent für Infizierte, reist mit einem Schwerbehindertenausweis und streitet sich mit den Schaffnern, weil die ihm das nicht glauben. Und Wolfgang streitet gerne. Seine Leidensgenossen möchte er sehr viel offensiver sehen, denn die, spöttelte er, trauen sich ja nicht mal in ihrem eigenen Ort zum Arzt, sondern „fahren extra nach Düsseldorf“.

In über 50 Workshops diskutierten etwa 400 TeilnehmerInnen über ihre Erfahrungen. Brennend aktuelles Problem der Aids-Hilfe und der zahlreichen Selbsthilfeorganisationen sind die bundesweiten Mittelstreichungen im sozialen Bereich. Michael Lenz vom Bundesvorstand bemühte sich, nicht zu jammern. Das ist schwer angesichts der in Bonn geplanten drastischen Kürzungen. 1990 gab es für die Aids-Aufklärung noch 34, in diesem Jahr 20, und 1998 sollen es nur noch 8 Millionen Mark pro Jahr sein. Und dies, wo sich Jahr für Jahr mehr junge Leute infizieren. Zudem, so Lenz, sei das Spektrum der Beratung Suchenden in den letzten Jahren gewachsen. Die meisten Infizierten seien zwar noch Schwule, aber dazu kämen immer mehr Drogenabhängige, durch Plasma Infizierte, Bluter und von Partnern angesteckte Heterosexuelle. Das stört aber, kritisierten Frauen, die homosexuellen Männer und deren „eingeschworenes Gemeinschaftsgefühl“. Sie forderten deshalb mehr Teilhabe an den Beratungsgremien.

Auch Lenz sieht einen gruppenspezifischen Beratungsbedarf. Besonders wichtig sei dies für Strichjungen, die als Zielgruppe schwer zu erreichen seien und eine ähnliche Betreuung brauchten, wie Prostituierte und Fixerinnen sie mittlerweile in den Großstädten erhalten. Frauen, so meinte er ein wenig pikiert, müßten doch wissen, daß es sich auch für sie über Krankheit, Angst und Sexualität besser mit Frauen reden läßt.

Regine empfand das erweiterte Beratungsspektrum als Bereicherung. „Ich bin seit neun Jahren infiziert und gehe meinen Virus offensiv an“, sagte sie. Krank war sie noch nie. Zur gleichen Zeit, als sie erfuhr, daß sie möglicherweise infiziert sei, bekam sie ihr erstes Kind. Die Ehe ging zu Bruch. Seit vier Monaten hat sie ein zweites Kind. Und sie verteidigte diese Entscheidung, die auf der Tagung kontrovers diskutierte wurde, vehement: „Ich habe eine Aufgabe. Und so lange bleibe ich noch.“ Für ihren Sohn hofft sie – genau wie bei ihrem ersten Kind – auf einen negativen Befund. Erst in zwei Jahren wird sie Genaues wissen. Kinder, so erfahren die TagungsteilnehmerInnen, übernehmen zuerst das Immunsystem der Mutter und bauen erst dann ihr eigenes auf. Nur rund 15 Prozent der Kinder von Infizierten werden selbst auch positiv. Regine engagiert sich bei der Aids-Hilfe, kann „blöde Fragen“ nicht ausstehen wie die, weshalb sie „noch“ so gut aussehe. Manchmal hat sie eine Wut auf ihren Virus: „Dann sage ich ihm: Wenn ich sterbe, dann sterben wir beide.“

Gestern ging die Tagung zu Ende. Am Samstag versammelten sich etwa 300 TeilnehmerInnen zu einem „Wut-und-Trauer-Marsch“ in der Stuttgarter Innenstadt. Sie forderten für die Vorbeugung und Behandlung mehr statt weniger Geld von der Politik. An die eigene Adresse richteten sie die Ermutigung zur Offensive: „Schweigen = Tod“.

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