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Das Schwere leicht

Reihe Neue Berliner Architektur: Hans Kollhoffs neues Wohnhaus an der Seesener Straße / Dialektik zwischen Offen- und Geschlossenheit  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wer heute mit der Stadtbahn den S-Bahnring im Südwesten entlangrattert, wird mit einer merkwürdigen Stadtkante konfrontiert. Eine Häuserwand aus Vorkriegsbauten und Nachkriegsflicken tut sich auf. Bombenlücken lassen den Blick in Hinterhöfe fallen. Hin und wieder folgen dichtbebaute Abschnitte in einer Weise, als wollten sie den Stadtkern vor dem breiten Graben aus Autobahnen und Gleistrassen schützen.

Der Filmregisseur Wim Wenders verlieh in seinem Streifen „Der Himmel über Berlin“ der Kante einen festungsartigen Charakter, als er die Kamera darauf zu fliegen und quasi abprallen ließ. Das neue Wohnhaus der Architekten Hans Kollhoff und Helga Timmermann an der Seesener Straße am S-Bahnhof Hohenzollerndamm in Wilmersdorf ist eine Interpretation des Festungsthemas über dem lauten und schadstoffbelasteten S-Bahn-Tal. Den fünfgeschossigen, flachgedeckten Neubau mit 60 Wohnungen spannten die Architekten zwischen zwei bestehende Altbauten, versetzten ihn aber ein wenig, damit er sich wie ein Solitär heraushebt. Das Haus schließt damit nicht nur eine Lücke zum S-Bahnring, sondern vervollständigt mit den benachbarten Bauten einen rechteckigen Häuserblock.

Von der Seesener Straße aus gesehen liegt das Gebäude in einem Hinterhof versteckt und vermittelt durch seine dunklen Klinkermauern den Eindruck einer zurückgezogenen Privatheit, der die laute Stadt nichts anhaben kann. Ganz anders inszeniert ist das Haus zur S-Bahn-Trasse, die sich für die Bewohner wie ein Breitwandfilm auftut. Hier haben Kollhoff/Timmermann das Wohngebäude als langen, leicht geknickten Schutzriegel stilisiert, der sich aus den Altbauten rechts und links wie ein transparentes Schild heraushebt und lediglich durch den gemauerten Ziegelrahmen, der das Gebäude umgibt, seine starke Präsenz demonstriert.

Das Schwere in der Architektur wird leicht, indem zur lärmenden, mobilen Stadtkante hin die riesige, etwas gefaltete Glaswand gezogen wurde, die als Wintergärten die Bewohner vor Emissionen schützt, die Stadtlandschaft aber hereinbittet. Einen abweisenden Panzer, wie Stadtmauern es taten, bildet das Haus somit nicht. Sie haben heute andere Funktionen als früher. Die Silhouette erhält an ihrer Westkante einen leichten Abschluß. Hans Kollhoff, dessen massive Stadtbilder für den Wettbewerb Alexanderplatz ihm den Ruf des grobschlächtigen Städtebauers eingebracht haben, hat hier ein Haus gebaut, das mit der Dialektik zwischen Offenheit und Geschlossenheit, mit Innen und Außen, Öffentlichem und Privaten spielt.

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