■ Standbild: Mein Tag mit Gorbi
„Gorbi total“, Sonntag, ZDF, 3sat, ARD, Südwest 3
Normalerweise kennt unsereins das Phänomen ja in erster Linie von den sogenannten Vorabend-Serien. Da taucht bisweilen an einem Abend ein und dieselbe Nase (Ich sage nur: Sigmar Solbach) auf den verschiedensten Kanälen gleich in mehreren – nicht sonderlich verschiedenen – Serien auf und stellt selbst in Sachen Identitätsdiskurs einigermaßen Abgebrühte auf eine harte Probe. Dieselbe Fönwelle, die eben noch als Oberförster der Wildsau nachstellte, macht sich Minuten später im weißen Kittel an einem Blinddarm zu schaffen, und schon kurz darauf liest sie im Talar ihren Schafen von der Kanzel die Leviten...
Am Sonntag indes lief kein Geringerer als Michail S. Gorbatschow Solbach den Rang ab. Es begann in „halb 12“, wo ein jovial-devot strahlender Ruprecht Eser Gorbi (der mit Gattin Raissa aufgekreuzt war) erst mal Kaffee in die Teetasse kippte und dann schwerst metamäßig fragte: „Fühlen Sie sich manchmal herumgereicht?“ Nein, fühlte er sich nicht. Und auch Anrufer durften Gorbi etwas fragen. Ein Herr Greiner aus Schorndorf wollte wissen: „Haben Sie während des Machtkampfes mal gebetet?“ Nein, hatte Gorbi nicht.
Wer allerdings die ganze Brisanz dieser Frage/Antwort ermessen wollte, mußte sich bis 23 Uhr 27 gedulden, als Thomas Reimer in „Wortwechsel“ (Südwest 3) den Gast (ohne Raissa) mit der Feststellung konfrontierte: „Sie sind als Kommunist aufgewachsen und trotzdem getauft...“ Na, so was. Und so einer betet nicht! Zwischen den beiden Sendungen hatte Gorbi allerdings schon auf 3sat (auch ohne Raissa) in „Ruge. NeunzehnZehn“ mit Gerd Ruge und Genschman die Lage der Welt debattiert. (Gerade so, als hege man die Befürchtung, daß der Name des Gastes nur noch deutschen Schluckspechten als Wodka präsent sein könnte, wurde er hier per Insert als „letzter Präsident der Sowjetunion“ vorgestellt.)
Wer die Finger nicht von der Fernbedienung lassen konnte, stieß dann auch noch im „Kulturreport“ (ARD) auf Gorbi als Kulturbotschafter. Und zwischendurch hatte sich Leslie Malton noch durch ihr grenzenlos verhunztes „Polizeiruf 110“- Debüt geradelt, in dem auch eine mysteriöse Geheimwaffe mit von der Partie war. Und was listete ein Kriminaler da unter anderem als Name für das Wunderding auf? Klar doch, „Gorbatschow Tuba“. Aber irgendwie freute man sich da schon längst wieder ungemein auf Sigmar Solbach. Reinhard Lüke
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