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„Es gibt keine reine Kunst“

■ Fabrizio Plessi zu seiner neuen Arbeit „Paris-Paris“ und der Videokunst im Allgemeinen

In den Galerieraum ist auf ganze Länge ein graues, typisch französisches Dach samt Dachluken eingebaut. Wasser rinnt über das Blech und rauscht gleichzeitig in den anstelle der Fenster eingesetzten Monitoren. Wasser und Video: Diese Kombination, wie hier in der Installation Paris-Paris, ist das Markenzeichen von Fabrizio Plessi. Poetische Installationen auf allen internationalen Großausstellungen sowie seine elektronischen Bühnengestaltungen für Theater- und Konzertereignisse, wie Luciano Pavarottis Auftritt im New Yorker Central Park, machen den 54-jährigen seit Jahrzehnten zusammen mit Nam June Paik zu einem der beiden bedeutendsten Videokünstler überhaupt.

taz: Regen über Paris... Inwieweit ist Ihre Arbeit biografisch?

Fabrizio Plessi: Ich arbeite seit Jahren über die Orte meiner Reisen. Auf der Biennale 1986 war es die Bronx, auf der dokumenta 8 1987 war es Rom. Die Doppelnamen meinen einmal den wirklichen Ort und einmal mein Bild von ihm.

In fast allen Ihren Arbeiten fließt Wasser. Warum diese Obsession?

Na erstens lebe ich in Venedig. Das ist die Stadt des Wassers. Und dann ist Wasser das Grundelement überhaupt. Wir kommen aus dem Wasser und sind zu 94 Prozent aus diesem Stoff. Es ist sehr instabil und anpassungsfähig an alle Gefäße, das ist für Kunst ein wichtiger Punkt.

Wasser dient ja auch als Metapher für moderne Medien. Wir sprechen vom elektrischen Strom und im „weißen Rauschen“ treffen sich alle medialen Informationen.

Das ist interessant. Der Begriff „Rauschen“ existiert nicht in diesem Sinne im Italienischen. Aber richtig, Wasser und Video haben viel gemein, obwohl viele über diese Kombination so erstaunt sind. Wasser gibt blaues Licht – der Bildschirm auch. Beide geben instabile Reflexe. Beide sind fließend und verströmen sich. Beide sind Transportwege, mal für Dinge, mal für Worte. So sage ich seit zwanzig Jahren, wie ähnlich sie sind – das Wasser die antike Straße, das Fernsehen der elektronische Weg von heute. Bis auf den Unterschied Natur – Technik sind beide theoretisch gleich. Theorie und Sprache sind wichtig für mich: Gut genutztes Fernsehen ist wie Literatur. Natürlich ist das dann anders als das Fernsehen in der Küche. Normales Fernsehen ist wie ein geworfener Stein – Video kann wie eine schwebende Feder sein.

Meint das, daß Sie die Technik wie irgendein anderes Künstlermaterial benutzen? Ist da kein Anspruch auf mediendidaktische Aufklärung? Immerhin sind Sie Professor an der Kunsthochschule für Medien.

In Köln unterrichte ich „Humanisierung der Technologie“. Dies Thema habe ich für mich entwickelt. Denn ich glaube, alle haben Angst vor der Technik. Dabei ist es wichtig, daß wir nicht die Sklaven der modernen Technik werden. Und ich möchte diese brutale TV-Schachtel mit Poesie aufladen – soweit ich kann. Mich wundert es immer wieder, daß weniger als ein Hundertstel aller Künstler mit dem heute wichtigsten Medium arbeiten. Fernsehen steht den Menschen heute schließlich näher als der Ehepartner. Es wird täglich länger in die Röhre geguckt als ins Gesicht der Frau. Vielleicht auch weil der Partner keine Fernbedienung hat. Aber im Ernst: Es ist doch völlig sicher, daß Michelangelo oder Leonardo heute Video benutzt hätten.

Nun gibt es manche, die meinen, man solle mit diesem gräßlichen Medium nicht die wirkliche Kunst beschmutzen und lieber auf Opposition als Zusammenwirken setzen.

Das ist dummes Zeug. Es gibt keine reine Kunst. Jede Epoche hat die Technik ihrer Zeit genutzt. Es ist nicht das Medium, es ist die Botschaft, auf die es ankommt. In gewissem Sinne stehe ich trotz der neuen Technik in der Tradition der italienischen Arte povera oder bin sogar ein klassischer Künstler. Ich erzähle keine Geschichten, ich verwende in meiner Kunst einfache Materialien wie Stein, Eisen und Wasser. Es ist immer das Gleiche und doch nie dasselbe: Mao sagte: „Man badet niemals im selben Fluß“.

Haben Sie einen Kernsatz ?

Der Künstler ist ein großer Stein, der kontinuierlich bergauf rollt. Der Künstler ist ein Tier mit großen Antennen, das eher als die anderen weiß, was nötig ist. Der Künstler ist ein Einzelgänger, der die Straße immer diagonal überquert. Suchen Sie sich was aus.

Fragen: Hajo Schiff

Weisser Raum, Admiralitätstr. 71, Mi-Fr 12-18, Sa 12-15 Uhr; bis 31. November. (Preis der Arbeit: achthundertvierzigtausend Mark)

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