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Korpsgeist schützt vor Strafe nicht

■ Drei Polizisten wegen Mißhandlung eines Iraners zu hohen Geldstrafen verurteilt / Zeugin ermöglichte Anklage

Es stand bis zum Schluß auf Messers Schneide, aber diesmal schlug das Zünglein an Justitias Waage ausnahmsweise einmal gegen die angeklagten Polizisten aus. Wegen Körperverletzung im Amt verurteilte das Amtsgericht gestern drei Beamte im Alter von 27 bis 39 Jahren zu Geldstrafen zwischen 10.500 und 12.600 Mark. Ein Beamter wurde freigesprochen.

Nach zweitägiger Beweisaufnahme stand für den Amtsrichter Köhnkow zweifelsfrei fest, daß der 34jährige iranische Student Habib J. am 24. Dezember 1992 von zwei der angeklagten Polizisten mißhandelt worden ist. Die beiden Beamten hatten den Iraner nach Aussagen einer Zeugin „wie ein totes Stück Vieh“ abtransportiert und „wie einen Kartoffelsack“ in einen Funkstreifenwagen geworfen. Dort war der Iraner mit dem Kopf gegen einen Tisch gestoßen. Vor dem Vorfall war der Student bereits von einem BVG-Busfahrer zusammengeschlagen worden. Eine unbeteiligte Zeugin, die 47jährige Sekretärin Hannelore B., hatte das zufällig beobachtet und sich später bei dem Iraner als Zeugin gemeldet. Der Busfahrer wird sich demnächst wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten müssen.

Der Fall hatte im Frühjahr 1993 eine Lawine ins Rollen gebracht. Nachdem Habib J. die Mißhandlungen im ZDF geschildert hatte, griffen andere Medien und amnesty international das Thema rassistisch motivierter Übergriffe der Polizei gegen Ausländer auf. Ohne die unbeteiligte Zeugin wäre es vermutlich jedoch nie zu einem Prozeß gekommen. Die entscheidende Frage in dem Verfahren war, wo der Funkwagen gestanden hatte, in den der Iraner von den Beamten „verladen“ wurde.

Die angeklagten Polizisten hatten jegliche Straftat bestritten. Sie erklärten, der Funkwagen habe zwei Meter neben der Vordertür des BVG-Busses gestanden, aus dem sie den Iraner abgeführt hatten. Sie hätten den Studenten leicht am Unterarm gepackt und ihm den Kopf etwas nach unten gedrückt, damit er sich nicht an der Eingangstür des Funkwagens stoße. Dieser Aussage widersprachen die Angaben der Sekretärin Hannelore B. Der Richter Köhnkow befand die Aussage der Zeugin in vollem Umfang für glaubwürdig. Bestätigt wurden ihre Angaben auch durch den Umstand, daß sie den Studentenausweis des Iraners mitten auf der Fahrbahn gefunden hatte. Dort habe er nur hingelangt sein können, wenn der Funkstreifenwagen tatsächlich auf der anderen Straßenseite gestanden hat. Nachdem der Iraner am 24. Dezember 1992 auf den Polizeiabschnitt 33 in der Perleberger Straße gebracht worden war, war er nach Überzeugung des Gerichts weiter von Polizisten mißhandelt und beleidigt worden. Von einem der Angeklagten wurde er als „Israeli“ beschimpft. Als er sich dagegen mit Hinweis auf seine iranische Nationalität verwahrte, wurde er mit „Allah, Allah“- und „Chomeini, Chomeini“-Rufen verächtlich gemacht.

Andere Polizisten auf der Wache stimmten in diese Rufe ein, konnten aber nicht identifiziert werden. Außerdem wurde Habib J. von einem weiteren der angeklagten Polizisten auf dem Polizeiabschnitt geohrfeigt. Der vierte angeklagte Polizist, der den Iraner in den Schwitzkasten genommen hatte, wurde freigesprochen. Der Richter begründete dies damit, daß dies keine schwerwiegenden Folgen nach sich gezogen habe.

FÜr Amtsrichter Köhnkow stand fest, daß die vier Angeklagten und drei Polizeizeugen alle die Unwahrheit gesagt hatten. Er drückte dies nur etwas vorsichtiger mit dem Wort „Schutzbehauptungen“ aus. Der Staatsanwalt und der Nebenklagevertreter Hans-Joachim Ehrig hatten in ihren Plädoyers deutlichere Töne angeschlagen. „Wer lügt hier?“ fragte Ehrig und beantwortete die Frage selbst, indem er darauf hinwies, daß der Korpsgeist unter den Polizeibeamten wieder einmal zum Tragen gekommen sei. Die Verteidiger hatten Freispruch beantragt. Denn wie sonst als „mit dem Kopf voraus“ solle man denn in einen Funkstreifenwagen einsteigen. Plutonia Plarre

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