piwik no script img

Pharmariesen im Visier

Festnahmen wegen milliardenschwerer Betrügereien in italienischen Gesundheitsämtern  ■ Aus Rom Werner Raith

Die drei jungen Staatsanwälte von Palermo konnten es kaum glauben. Wo gerade das gesamte Gesundheitswesen in Italien darniederliegt, zahllose Krankenhäuser wegen Schabenbefall oder mangelnder Klimaanlagen geschlossen werden, erfreuten sich ausgerechnet im heruntergekommenen Süden des Landes die Gesundheitsämter geradezu strotzender Ausstattung: Modernste Geräte zur Analyse standen da, Chemikalienschränke, vollgepropft mit dem Feinsten vom Feinen. Derart gut versorgt zeigten sich die „Unita sanitarie locali“, daß sie nicht einmal, wie sonst doch alle, staatliche Gelder für ihre Geräte beantragt hatten.

Und genau das war wohl auch der Fehler, der ihren Direktoren da unterlaufen ist. Denn erst dadurch waren die Ermittler aufmerksam geworden. Und nun hat der Skandal zur Festnahme gleich mehrerer Dutzend Leiter von Gesundheitsämtern in Sizilien, vor allem aber von Managern großer Pharmakonzerne im ganz Italien geführt. Mit von der Partie: Töchter ausländischer, darunter auch deutscher Chemieriesen wie Bayer, Boehringer Mannheim, Beckmann.

Der Trick war so einfach wie bewährt. Die Konzerne stellten den Gesundheitsämtern alle Geräte gratis zur Verfügung, nur die Chemikalien mußten sie kaufen. Und die waren, das haben die Staatsanwälte herausgefunden, um durchschnittlich 70 Prozent teurer als allgemein zulässig. Für eine – bisher ermittelte – Ausstattung im Gesamtwert von umgerechnet etwa 150 Millionen Mark haben die Pharmakonzerne mehr als eine Milliarde bei den (verteuerten) Chemikalien eingesackt. Kein schlechtes Geschäft.

Die „Entscheidungsträger“ – die Chefs der Gesundheitsämter, aber auch die Leiter einiger großer Krankenhäuser – bekamen dafür noble Geschenke: nicht nur Urlaubsreisen mit der ganzen Familie, sondern auch eine Einstellungsgarantie für die lieben Verwandten auf lukrativen Posten in der Pharmaindustrie.

Damit sich die Klinik- und Amtschefs nicht schlitzohrig plötzlich aus der „Abmachung“ zurückzogen und anderwärts einkauften, blieben die Geräte im Eigentum der Konzerne; sie konnten jederzeit wieder abgeholt werden. Veraltete Gerätschaften wurden dafür aber immer wieder ersetzt – und an kleinere Gesundheitsämter in der italienischen Provinz weitergereicht, womit der Reigen der illegalen Verdienste aufs neue beginnen konnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen