: „Die Gesäßgeographie des 19. Jahrhunderts“
■ In Frankfurt/Main fragte sich eine illustre Talk-Runde: „What's left today?“
Frankfurt/Main (taz) – „What's left today?“ Das war die von Moderatorin Gisela Wülffing vom Kreisvorstand der Bündnisgrünen in Frankfurt/Main am Montag abend im vollbesetzten Volksbildungsheim gestellte schlichte Frage. Und die geladenen Gäste der Talk-Runde – Antje Vollmer, Joschka Fischer, Claus Leggewie und der Publizist Thomas Schmid – gaben komplexe und divergierende Antworten.
Dabei waren sich die Diskutanten schnell einig, als es darum ging, all die „Erscheinungen“ (Fischer) beim Namen zu nennen, die nach dem Zusammenbruch der roten Diktaturen im Osten ganz bestimmt nicht mehr als „links“ oder auch nur „irgendwie links“ bezeichnet werden könnten. „Lega Ost“ nannte Claus Leggewie etwa die PDS.
Joschka Fischer sattelte noch drauf: Ein „aussterbender Traditionsverein Ost“ sei die „Gysi-Partei“. Da kam verschärfter Beifall auf im Auditorium. Und auch als Leggewie feststellte, daß nicht alle, die heute gegen die Rechten zu Felde ziehen würden, als Linke bezeichnet werden könnten, mochte ihm im Saal und auf dem Podium niemand widersprechen. Nur ein mit den entsprechenden Flugblättern auf dem Arm ausgewiesener Anhänger der PDS-West holte lautstark zum Gegenschlag aus: „Ihr da oben, ihr seid ganz bestimmt keine Linken mehr!“
An die Zeit, als auch „viele Grüne“ noch „Ehrfurcht vor sozialistischen Ruinen“ zeigten, hatte zum Auftakt Thomas Schmid erinnert – und Fischer verzog dabei das Gesicht. Auch Leggewie blickte zurück im Zorn: Denn am ideologischen Erbe aus den Zeiten dualer Weltbilder, als die Linke in Westdeutschland selbst Staaten wie die DDR und Nordkorea noch für „irgendwie links“ hielt, hätten gerade die Bündnisgrünen noch heute zu knabbern. Doch wie definiert sich linkes Bewußtsein heute? Etwa durch die Befürwortung von Subventionen für den daniederliegenden Waggonbau im Osten? (Leggewie)
Für Schmid muß die „sogenannte Linke“ ohnehin erst noch den Beweis dafür antreten, daß sie überhaupt in der Lage ist, den großen Projekten der Konservativen – „Westanbindung und soziale Marktwirtschaft“ – ein eigenes, neues Projekt hinzuzufügen. Einer denkbaren rot-grünen Bundesregierung mangele es deshalb noch am „spezifischen Gewicht“.
Das sahen Antje Vollmer und Joschka Fischer als „praktizierende PolitikerInnen“ (Fischer) anders. Eine sozialökologische Reformpolitik mit Beispielcharakter etwa auch für die sogenannte Dritte Welt sei schließlich ein solch „großes Projekt“. Schon wandelte sich die Diskussionsrunde zur gezielt auf den „Wechsel“ ausgerichteten politischen Debatte – und die Frage „What's left today?“ war noch immer nicht beantwortet. Es war Claus Leggewie, der den rund 500 ZuhörerInnen am Ende doch noch ein Angebot zur neuen Definition alter politischer Heimaten unterbreitete: Links und rechts? Das sei „Gesäßgeographie des 19. Jahrhunderts“. Heute zeichne sich eine Entwicklung ab, wie sie in den USA bereits vollzogen worden sei. Eben zwei große politische Lager, die grob mit den Begriffen liberal und konservativ umschrieben werden könnten. Da konnten Fischer, Vollmer und Schmid nur zustimmend nicken. Der Abschied von „irgendwie links“ war – an diesem Abend – beschlossene Sache. Klaus-Peter Klingelschmitt
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