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Ronaldo, Ronaldo, Ronaldo

UEFA-Cup: Bayer Leverkusen – PSV Eindhoven 5:4 / Brasiliens neuer Superstar bewirkte ein phantastisches Fußballspiel  ■ Aus Leverkusen Bernd Müllender

Es war der Abend des Jens Melzig. Der ungeschlachte Leverkusener Verteidiger hatte die exklusive Ehre, Eindhovens 17jährigen Ronaldo mannzudecken und durfte dem brasilianischen Wirbelwind dadurch so nah sein wie kein zweiter. Allen anderen, ob den Mitspielern oder den gerade mal 16.000 im halbleeren Stadion, war sie halt nur aus größerer Entfernung zu bestaunen vergönnt: die grandiose und geniale Gala, die Ronaldo zelebrierte, seine Tricks und Sprints und Schüsse und Täuschungsmanöver ohne Ende. Drei Tore erzielte Ronaldo dabei wie selbstverständlich. Mit ein bißchen Glück hätten es auch sechs sein können. Das fußballerisch Phantastischste: Ronaldo präsentierte sich sogar als fast unfoulbar – wann immer Melzig die unfaire Variante versuchte, mit seinen Grätschen und Beinscheren zerpflügte er nur Luft.

Nach dem Match wurde Jens Melzig, der gnädigerweise 20 Minuten vor Schluß per Auswechslung erlöst wurde, nicht mehr gesehen. Die einen vermuteten, der unbarmherzig Schwindeliggespielte entleere sich immer noch über einem Kotzbecken, andere glaubten an Notinfusionen mit Bayers Magenmittel Talcid und Schockbehandlungen unter dem Sauerstoffzelt. Oder waren die Betreuer immer noch dabei, Melzigs hoffnungslos verknotete Beine zu sortieren? Bayer-Coach Dragoslav Stepanovic versuchte, von seinem Verteidiger wenigstens den ärgsten psychischen Schaden abzuwenden. Er habe mit ihm gesprochen und ihn getröstet: „Den Ronaldo kannst du nicht ausschalten, kannst nix machen, der ist einfach so gut, einsame Klasse, unglaublich, der macht in einem Spiel Sachen, die andere in fünf Jahren nicht schaffen.“

Sechs Tore hat Ronaldo Luis Nazario de Lima nunmehr in seinen ersten drei Pflichtspielen erzielt – ein 17jähriger, wie ihn der Weltfußball wahrscheinlich noch nie gesehen hat. PSV-Manager Frank Arnesen dementiert keine Summe mehr, die der Brasilianer gekostet haben soll, auch nicht die kolportierten 15 Millionen Mark. „Alle, die ihn heute gesehen haben, werden doch sagen, selbst das wäre noch sehr billig eingekauft.“

Doch Frank Arnesen war auch stinksauer. In der Halbzeit sah man ihn im Gespräch mit anderen Philips-Verantwortlichen schimpfen, sich immer wieder an den Kopf packen und heftig gestikulieren. Grund der Erregung war eine kühne Maßnahme seines Trainers Aad de Mos, den gelernten Mittelstürmer Erik Meijer als linken Verteidiger gegen Leverkusens Lehnhoff zu stellen. Das war ungefähr so, als würde von Bernd Schuster ein Spiel als pfeilschneller Linksaußen erwartet oder Rudi Völler ins Tor beordert. Ein niederländischer Reporter sprach von einem „katastrophalen Experiment, das selbst gegen La Valetta aus Malta ins Auge gegangen wäre“.

Nach ganzen 18 Minuten sah de Mos seinen Fehler ein und wechselte den überforderten Meijer aus. Reichlich spät – denn da hatte Bayer dank der Orientierungslosigkeit des Hilfsverteidigers schon dreimal den Ball ins Ziel gelenkt. Die frühe Trefferflut war indes Fanal für ein Spiel zweier ausschließlich auf Angriff orientierter Teams mit beiderseits unkontrollierter Offensive und einem tölpelhaften Abwehrspiel, gegen das ein Hühnerhaufen durch preußische Ordnung besticht. Torchancen gab's fast im Minutentakt. Jubel, Euphorie, Entsetzen, Haareraufen, hin und her, rauf und runter. Eine Begegnung, die Aad de Mos nachher die Chance gab, von seiner taktischen Dummbeuteligkeit abzulenken, die seinem jungen, technisch und spielerisch überlegenen Team wahrscheinlich den Sieg kostete: „Ein Spiel für die Fußballgeschichte. Ich habe schon viel mitgemacht, aber noch niemals ein solches Match.“

Hans-Peter Lehnhoff, dem anfänglichen Nutznießer, waren die Abwehrschwächen Eindhovens besonders recht: Er konnte drei Treffer elegant durch lange Sprints und feinste Pässe vorbereiten und wurde enthusiastisch gefeiert. Ebenso Ulf Kirsten, der wie Ronaldo drei Tore schoß. Und eine Viertelstunde vor Schluß unverschämterweise eine winzige Unachtsamkeit von Ronaldo ausnutzte und den Brasilianer derart bös' umrammte, daß er verletzt ausgewechselt werden mußte. So hatte zwar der europäische Fußball eine Sternstunde erlebt, aber auch ein banales, branchentypisches Mittel das Match möglicherweise entschieden.

Fürs Rückspiel jedoch, keine Sorge, ist Ronaldo wieder fit. Und dann schon reife 18 Jahre alt. Bei Bayer suchen sie jetzt nach einem Seelentherapeuten, der den Verteidigern die Angst nimmt, sie könnte Stepanovics Fluch treffen: in Eindhoven das Erbe des armen Jens Melzig anzutreten.

PSV Eindhoven: Menzo - Prommayon, Dirkx, Wouters, Meijer (21. Pahlplatz) - Vink, Linskens, van Mol, Hoekstra - Nilis, Ronaldo (80. Zenden)

Zuschauer: 16.000; Tore: 1:0 Kirsten (5.), 1:1 Ronaldo (11./Foulelfmeter), 2:1 Dooley (13.), 3:1 Kirsten (15.), 4:1 Kirsten (41.), 4:2 Ronaldo (45.), 4:3 Ronaldo (61.), 5:3 Schuster (74.), 5:4 Nilis (88.)

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