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Signal für einen Dialog in Algerien

Freilassung der FIS-Führer ermöglicht Verhandlungen über Machtbeteiligung / Von der Fundamentalopposition zu Gesprächspartnern des Regimes / GIA wittert Verrat  ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Algeriens Staatsfeinde Nummer 1 und 2 sind frei. Am Dienstag brachten Militärs die beiden Führer der „Islamischen Heilsfront“ (FIS), Abbas Madani (63) und Ali Belhadsch (39), aus einem Gefängnis in Blida in ein staatliches Gebäude am Rande der Stadt. Die algerische Zeitung Liberté berichtete gestern, beide seien zusammen mit drei weiteren prominenten FIS-Führern bedingungslos freigelassen worden. „Die Überstellung an einen anderen Aufenthaltstort“ bedeute keinen Hausarrest, sondern „eine simple Sicherheitsmaßnahme“. Beide könnten sich „frei bewegen und jedermann empfangen“.

„Jedermann“, das dürften nach den Vorstellungen der algerischen Machthaber Vertreter des Regimes und Kader der FIS sein. Madani und Belhadsch sollen in ihrer neuen Residenz darüber verhandeln, wie die Islamisten an der Staatsmacht beteiligt werden. Die Freilassung ist Ergebnis monatelanger Geheimkontakte zwischen dem Regime und der FIS. In deren Schlußphase wurden mehrere Schreiben Madanis an den von den Militärs eingesetzten Präsidenten Liamine Zeroual bekannt. Darin hatte Madani beteuert, die Islamisten würden im Falle ihrer Teilhabe an der Macht die algerische Verfassung und die „Prinzipien der Demokratie“ respektieren. Nimmt man den FIS-Chef beim Wort, dann hat er sich in der Haft vom Revolutionär zum Reformisten gewandelt.

Vor ihrer Verhaftung im Juni 1991 hatten Madani und Belhadsch noch andere Töne angeschlagen. Im Dezember 1990 ließen die algerischen Machthaber kurzerhand die ersten freien Parlamentswahlen des Landes abbrechen, weil sich nach dem ersten Wahlgang ein Sieg der FIS abzeichnete. Die FIS-Führer schworen Vergeltung. Islamisten organisierten Demonstrationen und Streiks, an denen sich weite Teile der Bevölkerung beteiligten. Madani schickte Belhadsch als Agitator vor. In den Moscheen von Bab el-Oed – dem Arme-Leute-Vorort von Algier – rief dieser zum „heiligen Krieg“ gegen die verhaßten Regenten auf. Die FIS profilierte sich damals als Fundamentalopposition gegen das gottlose Regime.

Dieses verschärfte die Repression. Von der internationalen Öffentlichkeit weitestgehend gebilligt, verbaten algerische Politiker die Heilsfront und ließen deren Führung verhaften. Im Juni 1991 gingen Madani und Belhadsch den Militärs ins Netz. Andere prominente FIS-Vertreter flohen ins Ausland. Martialisch ausstaffierte algerische Spezialeinheiten machen seitdem Jagd auf alles, was nach Islamisten aussieht. Laut amnesty international wurden Tausende AlgerierInnen verhaftet, in Lagern in der Wüste interniert, gefoltert und ermordet. Die Islamisten revanchierten sich mit Anschlägen gegen Repräsentanten des Staates und zunehmend gegen laizistisch orientierte Intellektuelle, Literaten, Professoren und Menschenrechtler.

Durch die Verhaftung und Vertreibung fast der kompletten FIS- Führung wurden die algerischen Islamisten kopflos. Im Untergrund waren ihre Anhänger gezwungen, sich in kleinen Zirkeln zu organisieren. Neue Gruppierungen entstanden, deren einziges Ziel der unmittelbare Kampf gegen die Staatsmacht und deren wahre und angebliche Unterstützer ist. Die berüchtigte „Bewaffnete Islamische Gruppe“ (GIA) erklärte im vergangenen Herbst alle Ausländer zu potentiellen Zielen für Mordanschläge. Die Fremden dienten den Interessen des Regimes, lautete die simple Begründung. Seither starben in Algerien 59 Ausländer im Namen Gottes. Statt, wie im Koran gefordert, Gäste zu ehren, schlitzten Islamisten diesen die Kehlen auf.

Wahrscheinlich stehen mittlerweile auch prominte FIS-Führer auf den Abschußlisten der GIA. Als Ende August die Berichte über Kontakte zwischen der FIS und dem Regime präziser wurden, warnte die GIA vor Kontakten zu den „Soldaten des Pharao“. Einige Wochen zuvor waren GIA-Flugblätter aufgetaucht, in denen Madani und Belhadsch die Führerschaft der islamistischen Bewegung abgesprochen wurde. Einmal an der Macht oder an ihr beteiligt, werden sich die einstigen Revolutionäre von der FIS wohl mit einer islamistischen Opposition konfrontiert sehen, die sie noch militanter attackiert als einst die FIS das Regime. Die von Madani und Belhadsch erwartete Aussöhnung zumindest mit Teilen des Regimes und Militärs gilt ihnen als „Verrat“ und „Häresie“.

Die FIS als Teil einer wie auch immer gearteten algerischen Regierung wird beweisen müssen, daß sie das den AlgerierInnen versprochene Heil auch materiell verwirklichen kann. Im Schatten des Konflikts mit den Islamisten ist der Staat an den Rand des Bankrotts gewirtschaftet worden. Abdelkader Sahraoui, ein in Deutschland lebender Berater der FIS, hoffte nach der Freilassung von Madani und Belhadsch auf „eine gewisse Beruhigung, die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung ermöglichen wird“. Die Formulierung darf als Aufforderung an das Ausland zur massiven Wirtschaftshilfe verstanden werden. Denn sonst wird in Algerien womöglich eine von den Islamisten der FIS unterstützte Regierung von den vom Volkszorn getragenen Islamisten der GIA gestürzt.

Siehe auch Kommentar Seite 10

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