: Krümmel: Leukämierisiko deutlich höher
Die Gefahr, in unmittelbarer Nähe des Atommeilers Krümmel bei Geesthacht an Leukämie zu erkranken, ist für Erwachsene noch höher, als in einer Studie bisher bekanntgeworden war ■ Aus Kiel Kersten Kampe
Die neue Studie über das Risiko für Erwachsene, in der Nähe des Atomkraftwerkes Krümmel bei Geesthacht an Leukämie zu erkranken, enthält mehr Brisanz als bisher angenommen. In einer gemeinsamen Sondersitzung des Umwelt- und des Sozialausschusses des Kieler Landtages informierte Schleswig-Holsteins Umweltministerin Edda Müller (SPD) am Dienstag nachmittag über Einzelheiten des in der vergangenen Woche bekanntgewordenen Gutachtens (taz vom 10.9.). Der Bremer Wissenschaftler Eberhard Greiser kommt darin zu dem Ergebnis, daß in einem Umkreis von fünf Kilometern das Risiko, an einer als strahlungsbedingt geltenden Untergruppe der Leukämien zu erkranken, um 94 Prozent erhöht sei.
Die Fachkommission „Leukämie in der Elbmarsch“ wird die Ergebnisse morgen beraten und weitere Schritte empfehlen. Zuvor werden Wissenschaftler unter anderem aus München, Basel, Bremen und den USA in einer Telefonkonferenz mit Greiser über die Studie diskutieren.
Die Kommission unter der Leitung des Kieler Toxikologen Otmar Wassermann forscht seit 1992 nach Zusammenhängen zwischen den Krebserkrankungen und dem AKW, nachdem in der Nähe des Atomkraftwerkes Krümmel eine auffallende Häufung von Leukämieerkrankungen bei Kindern festgestellt wurde.
Insgesamt sei das Risiko für Erwachsene, an Leukämie zu erkranken, in den drei Kreisen Lauenburg, Harburg und Lüneburg im Vergleich zum Saarland um 15 Prozent höher. Das Saarland als Bezugsgröße hat Greiser gewählt, weil dort ein Krebsregister existiert.
Bekanntgeworden war in der vergangenen Woche, daß im engsten Umkreis des Atommeilers jenes Risiko um 78 Prozent erhöht sei. Grundlage für diese Zahl waren die in diesem Umkreis erfaßten 51 Fälle von Leukämie. Anders sieht es der Studie zufolge aber bei der chronisch-myeloischen Leukämie aus, von der Mediziner annehmen, daß sie in hohem Maße strahlungsbedingt ist: Im Fünf-Kilometer-Umkreis liegt das Erkrankungsrisiko bei 94 Prozent für beide Geschlechter, für Männer sogar bei 175 Prozent. In der Gesamtregion der drei norddeutschen Landkreise liegt das Risiko der strahlungsbedingten Leukämie im Vergleich zum Saarland allerdings um ein Drittel niedriger.
Insgesamt erfaßten die Wissenschaftler von 1984 bis 1993 2.253 Krebsfälle, davon 633 Leukämieerkrankungen. Nicht berücksichtigt wurden allerdings nach Angaben von Umweltministerin Müller mögliche andere Risiken, an Leukämie zu erkranken, wie etwa Arbeitsplatzbedingungen oder Zuwanderungen.
Eberhard Greiser betont in seiner Studie ausdrücklich, sein Gutachten könne nicht als „Nachweis eines kausalen Zusammenhanges zwischen möglichen Emissionen des Kernkraftwerkes und den erhöhten Erkrankungen in der Nähe des Kraftwerkes interpretiert werden“. Dazu sei diese Art von Studie ungeeignet. Der Wissenschaftler vom Bremer Institut für Präventivforschung und Sozialmedizin schlägt nach Angaben der schleswig-holsteinischen Umweltministerin weitere Untersuchungen vor. Eine Bewertung der Studie lehnte Edda Müller erneut ab und verwies auf die Tagung der Fachkommission.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen