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Herr Balla, Dada und der Krieg

■ Ein Fest im Schlachthof für die widerspenstige „Geistige Republik Zitzer“ in Serbien

Heute ab 16 Uhr bietet sich im „Schlachthof“ eine einzigartige Chance: Jeder kann hier eine zweite Staatsbürgerschaft beantragen. Wem sie gewährt wird, der darf sich fortan als Deutscher und „Zitzeraner“ fühlen. Es gibt einen Paß und ein Ziel: eine Welt ohne Kriegstreiberei, Umweltzerstörung und Mißachtung der Menschenrechte. Ausgestellt wird der Paß vom Konsul der „Freien geistigen Republik Zitzer“, Wieland Freiherr von Hodenberg (Aktivist der Kriegsdienstverweigerer-Organisation DFG/VK).

Die Aktion „doppelte Staatsbürgerschaft“ ist Teil eines Festes im Schlachthof zur Unterstützung einer guten Idee. Filme, Faxe, Bilder, Fotos und Musik werben den Freitag lang für ein winziges Dorf im Norden Serbiens, Tresnjevac, wo vor gut zwei Jahren die Frauen beschlossen haben, ihre Männer nicht in den Krieg ziehen zu lassen. Das Dorf der Kriegsdienstverweigerer wurde von Panzern umstellt, blieb jedoch unbeugsam. Man ging noch weiter und gründete in der Pizzeria „Zitzer Club“ die „Geistige Republik Zitzer“, ein in seiner Skurrilität und Kühnheit geradezu dadaistisches Projekt. Mit einem schrägen Präsidenten namens Lajos Balla, der seine Republik als „surrealistische Parodie“ ansieht, eigenem Geld (dem Superdinar) und Nationalhymne (Ravels Bolero, „erst langsam und dann immer lauter“).

Um das Dorf gegen den Zugriff des rabiaten serbischen Regimes zu schützen, ging „Zitzer“ an die Weltöffentlichkeit - mit Erfolg. Symbolische Mitbürger leben in Frankreich, Argentinien und den USA; allein in Deutschland gibt es über 500 Zitzeraner, weltweit angeblich das Zehnfache. In Bremen eröffnete Ende Juni das erste Konsulat in der Villa Ichon. Dort kann man das Staatswappen besichtigen: drei Billardkugeln und eine Pizza.

Die Idee zum Fest für einen guten Zweck stammt komischerweise aus einer Zeit, als der gute Zweck hierzulande noch gar nicht bekannt war. Es gab im letzten Herbst an der Hochschule für Künste drei StudentInnen, die unbedingt etwas tun wollten, um ihrer Betroffenheit angesichts des Jugoslawienkrieges Ausdruck zu verleihen - mit ihrer Kunst. Sie entwarfen Plakate, diskutierten in der Hochschule und fragten „Was tun?“ Besonders eine Studentin aus Zagreb, die kurz vor dem Krieg das Land verlassen hatte und den merkwürdigen Namen Natascha Drakula trägt, ärgerte sich über die unpolitische Hochschule und freute sich, mit ihrer Betroffenheit vom Krieg nicht mehr allein zu sein. Die drei begannen, ein Fest zu planen, um „Geld einzufahren“ und es „nach unten zu geben“. Aber wem?

Als sie aus der Presse von „Zitzer“ lasen, hatten sie plötzlich ein Objekt für ihren guten Willen. „Das war der Idealfall,“ sagt Eckhard Twistel. Sein Kommilitone mit dem (auch interessanten) Namen Andreas Teufel lobte die „Genialität und Weltoffenheit“ des Projekts. Mit der Zeit fanden sie 15 Mitstreiter aus den Hfk-Bereichen Grafik, Malerei, Film, Foto, Plastik. Ohne Geld und Erfahrung, aber mit Phantasie und Engagement bastelten sie ein Fest.

Ab 20 Uhr in der Kesselhalle spielen (ohne Gage) Das Wheet Experience (Hamburg), Billy Moffets Playboy Club (Oldenburg) und die Whetherbys (Bremen). Wer aber schon vorher, ab 16 Uhr, den Schlachthof besucht, darf erstens Staatsbürger von Zitzer werden, zweitens Filme über Zitzer und naheliegende Themen ansehen, die verschiedenen Kunstausstellungen zum Balkankrieg besuchen, dann in der Schlachthofkneipe die „Zitzer-Club-Speisekarte“ kommen lassen unsd gleichzeitig in eine Fax-Kommunikation mit dem echten Zitzer Club in Tresnjevac eintreten.

Vielleicht erfährt man dabei endlich, was eigentlich „Zitzer“ bedeutet - ein Rätsel selbst für Natascha Drakula. Sie und ihre Projektgruppe planen fest, weiterzumachen - in welche Richtung, das wird sich wieder finden. Auch mit dem Geld, das sie durch das Fest „für Zitzer“ möglicherweise einnehmen, wissen sie vorläufig noch nichts anzufangen. Für Logistik? Für Werkzeug? Jedenfalls: für Zitzer. Ein kleiner Nachteil der Bremer Initiative ist, daß niemand den Ort und die Menschen dort kennt. Geschweige denn ihre Bedürfnisse. Mal hinreisen? Teufel: „Das wäre vielleicht der nächste Schritt.“

Burkhard Straßmann

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