piwik no script img

Trockenheit in den Zeiten des Niederschlags

■ Wegen Dürre herrscht in Nicaragua, Honduras und El Salvador Energienotstand

Managua (taz) – Warum werden womöglich im nächsten Mai in Nicaragua so viele Neugeborene auf den Namen Emilio getauft werden? Emilio ist nicht etwa ein Popstar oder Baseballheld, Emilio ist der Vorname des Energieministers Rappaccioli, der die strengen Stromrationierungen verordnet hat, unter denen in Nicaragua nicht nur die Industrie, sondern auch das Familienleben zu leiden hat. Wenn es abends kein Licht gibt und die Fernsehserien als Abendvergnügen ausfallen, nützen viele Paare die Mußestunden für die Liebe ...

Doch im Ernst. Jenseits aller demographischen und humoristischen Aspekte der Energiekrise treibt die derzeitige Dürre die ohnehin schwachen Ökonomien der mittelamerikanischen Staaten Nicaragua, Honduras und El Salvador an den Rand des Zusammenbruchs. Mitten in der Regenzeit hat die andauernde Trockenheit den Wasserstand in den Stauseen auf ein Niveau absinken lassen, das kaum ein Drittel der normalen Stromproduktion erlaubt. In Honduras etwa, das 60 Prozent seiner Energie aus dem Wasserkraftwerk El Cajón bezieht, wurde der Energienotstand ausgerufen. Auf dem Höhepunkt der Krise im Juli wurde täglich 14 Stunden lang der Strom abgeschaltet. Die Auswirkungen für Honduras' Industrie sind katastrophal. Der Privatunternehmerverband COHEP schätzt den täglichen Schaden auf umgerechnet vier Millionen Dollar. Besonders betroffen sind die Produzenten und Verteiler von Lebensmitteln, denn in der tropischen Hitze verwandeln sich Fleisch, Meeresfrüchte und Milchprodukte schnell in stinkenden Abfall. In den erst jüngst auf Elektronik umgestellten Büros wurden die mechanischen Schreibmaschinen aus der Rumpelkammer geholt. Viele Geschäftsleute behelfen sich mit tragbaren Generatoren, die, vor der Tür aufgestellt, einen Höllenlärm machen. Kapitalschwache Kleinbetriebe müssen Leute entlassen oder ganz schließen.

Nach langem Zögern ordnete der honduranische Staatschef Carlos Roberto Reina Mitte August den Einsatz der Armee an, um nachts in den stockfinsteren Städten die ausufernde Kriminalität einzudämmen. Erstes Opfer der Krise war der Chef der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft (ENEE), der vor ein paar Wochen zurücktrat. Die Schuld an der Misere tragen aber die vorangegangenen Regierungen, die den Ausbau alternativer Energiequellen vernachlässigt haben.

Im weniger von Wasserenergie abhängigen Nicaragua ist die Argumention mit der Dürre noch fadenscheiniger. Denn auch die Wärmekraftwerke arbeiten wegen längst fälliger Investitionen nur mit halber Kraft. Als in der ersten Augusthälfte in Nicaragua die Baseball-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde und das Stadion jeden Abend im Flutlicht erstrahlte, lag halb Managua im Dunkeln.

Im Osten El Salvadors haben die Kleinbauern praktisch ihre ganze Ernte verloren, in Nicaragua sind auf Zehntausenden von Hektarn Mais, Bohnen, Bananen und Zuckerrohr vertrocknet. Daß die Bürokratie eine für die besonders betroffenen Gebiete bestimmte Schiffsladung Reis und Öl seit Wochen im Hafen von Corinto festhält, erscheint besonders makaber, nachdem die ersten Kinder regelrecht verhungert sind. Sie brachen auf der Suche nach Feuerholz und eßbaren Wurzeln vor Erschöpfung zusammen. Ralf Leonhard

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen