: Zinsen im eigenen Stadtteil
■ Experten empfehlen neue Wege für Wirtschaft und Geld: Lokale Netzwerke contra internationalen Weltmarktwettbewerb Von Florian Marten
Die wohlhabende obere grüne Mittelklasse, Haushaltseinkommen 8000 netto, zwei Akademiker, ein Kind und taz-Abo, hat viel Geld und Zeit für die Pflege ihrer Befindlichkeit. Sanfter Tourismus auf die Malediven, pestizidfreier Honig aus der Toskana, ein tonnenschwerer Volvo-Panzer zum Schutz im Straßenkrieg, ökologisch optimiertes Stadthaus (Solarzellen, Brauchwasserkreislauf etc.) und eine feinsinnig gestreute Geldanlage des Ererbten und Ersparten stiften Lebenssinn und Wohlgefühl.
Wir wissen heute wissenschaftlich unterfüttert, daß der ökologisch verbrämte (Luxus-)Konsum eines solchen Haushalts die Umwelt weit mehr schädigt als die Polyacrylorgien, Bierkästen und der Aldifraß eines Wilhemsburger Malocherhaushalts, der seine Zwei-Wochen-Auslands-Ferien allenfalls mal im Betonstall auf Mallorca verbringt. Der Grund: Die Inanspruchnahme internationaler Ressourcen durch die reichen Grünen, darunter zum Beispiel die Unterstützung der schädlichen Baumwollmonostrukturen. Die globale ökologische Beeinträchtigung ist so weit höher als die durch den stärker auf lokale Nähe und regionale Wirtschaft (Plaste von Beiersdorf, Bier von Holsten, Auto aus Wolfsburg) abonnierten Arbeiterhaushalt.
Der Weg zu einer besseren Welt, die Umwelt, Wohlstand und Arbeitsplätze zueinander bringt, so meint eine neue Trendströmung unter Wirtschafts- und Finanzexperten, führt nicht über Öko-Luxus-Konsum und Geldanlage in Großfonds, sondern über die Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen. Nicht internationales Ökobanking mit Gießkanneneffekt sondern integriertes Stadtteilbanking seien angesagt.
Das Idealbild: Stadtteilbanken investieren in eine Verbesserung von Wohnen, Leben und Arbeiten vor Ort, statt ihre Gelder in die internationalen Kreisläufe zu pumpen. Nicht Zinsspannen und klassische Sicherheiten diktieren die Auswahl von Investitionsprojekten und Kreditnehmern, sondern der Nutzen für den Stadtteil. Die bestechende Idee: Ein Gutteil des Profits entsteht durch die „Wertverbesserung“ des Stadtteils, durch blühende Kleinbetriebe, Arbeitsplätze und bessere Wohnungen.
Teilen der alternativen Wirtschafts- und Finanzszene sind diese Gedanken nicht fremd. Die verschiedenen Netzwerkvereine beispielsweise bemühen sich seit langem um die Nähe von Geldgeber, Geld und Projekt. Integriertes Stadtteilbanking geht allerdings einen ganz erheblichen Schritt weiter: Nicht die Pflege alternativer Nischen, sondern eine selbstbewußte lokale Wirtschafts- und Stadtentwicklungspolitik auf Stadtteilebene sind angesagt. Berührungsängste zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen darf es da nicht geben, wie erfolgreiche Beispiele im Ausland zeigen (South Shore Bank in Chicago, die taz berichtete).
Auch in Hamburg regen sich erste konkrete Vernetzungsphantasien. So bastelt der Großkonzern Volksfürsorge derzeit an einem Stadtentwicklungscoup für St. Georg. Die Vereins- und Westbank entwickelte 1993 auf dem behördlichen Stadtentwicklungsforum für Hamm Süd und Hammerbrook den Vorschlag einer stadtteilbezogenen Risiko-Kapitalgesellschaft, die – mit städtischen und privaten Mitteln gespeist – Grundstücke und sanierungsbedürftige Gebäude erwirbt und diese dann verbilligt an ausgewählte Investoren verscherbelt. Die Rückzahlung dieser Startsubvention sollte erst dann erfolgen, wenn, so die Vereins- und Westbank, „das Problemgebiet ein bestimmtes Niveau erreicht hat“.
Damit solche Modelle funktionieren, müssen gänzlich neue Koordinierungs- und Steuerungseinheiten entstehen, welche Bevölkerung, Investoren, Geld, Beratung und Politik zusammenbringen. Politik und Banken stehen heute noch etwas ratlos vor dieser Herausforderung. Dennoch: Nicht undenkbar, daß eines Tages eine demokratisch kontrollierte Lokal-Haspa in Ottensen mit den Geldern reicher Grüner und erfolgreicher lokaler Unternehmer den Multi-Kulti-Stadtteil „entwickelt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen