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„Eine Hackfrau mit besseren Nerven“

■ Hamburgs Polizeikrise ruft nach sensiblen Reformen / Diffamierung fördert den Korpsgeist / Ein Gespräch mit Polizisten über veraltete Strukturen und schlechte Ausbildung Von Florian Marten

Die Hamburger Polizei ist eine aus dem Ruder gelaufene rechte Schlägertruppe mit Faible für rassistische Action. Ein harter Führer muß her, der die Stadtstaatsmacht vom braunen Ungeziefer reinigt und die inneren Schweinehunde des Restes auf demokratischen Vordermann bringt. Dieses Bild, hervorgerufen durch den Rücktritt des Hamburger Innensenators und das mediale Scheinwerferlicht auf eine ganze Palette von Polizeiübergriffen, haben inzwischen weite Teile der Öffentlichkeit verinnerlicht.

Wer sich dagegen dieser Tage die Mühe macht, mit nachdenklichen Hamburger Polizeibeamten ins Gespräch zu kommen, trifft auf eine gänzlich andere Einschätzung der Lage. Da ist zunächst abwehrender Zorn. Ein hoher Beamter zur taz: „Die Diffamierung der ganzen Polizei als rassistische Schlägerbande hat fatale Folgen für das innere Klima. Da gibt es jetzt völlig falsche Solidarisierungen und ein Zurückdrängen jeder vernünftigen Reformidee. Das ist ein herber Rückschlag für die liberalen Kräfte in der Polizei.“ Die ohnehin in großen Teilen konservative Grundhaltung der Polizei werde zum Abmarsch in die rechte Ecke geradezu aufgefordert.

Ist das aber nicht nur eine Abwehr berechtigter Kritik? Tatsächlich, so räumen unsere Gesprächspartner ein, sind Blindheit gegenüber dem Rechtsextremismus und eine wachsende Bereitschaft zur Gewalt bei Revierwachen und Einsatzzügen zu beobachten. Aber: „Wir müssen doch mit kühlem Kopf die Ursachen benennen.“ Und die seien: „Völlig überforderte junge, unzureichend ausgebildete Männer vom Dorf – zwei Drittel der Hamburger Polizei kommen vom Land – werden in ihrem Beruf mit der Gewalt der Großstadt konfrontiert. Ins Gesicht gespuckt, in den Bauch getreten, vor Gericht von Rechtsanwälten des Rassismus bezichtigt. Was glauben Sie, wie die nach zwei, drei Jahren Praxis drauf sind?“

Die Überforderung im Alltag wird durch das preußisch-soldatische Prinzip des polizeilichen Dienstrechts mit seiner absurden Hierarchiestaffelung und einem überaus rigiden Disziplinarrecht noch verschlimmert. So bestanden unsere Gesprächspartner auch darauf, anonym zu bleiben, wollten den Test der Wahrnehmung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nicht wagen. Kurz: Nicht gezielte rechte Unterwanderung und ein durch Weggucken der Vorgesetzten gefördertes Anwachsen von Brutalität und Nazismus, sondern unzureichende Ausbildung und eine völlig veraltete Polizeistruktur sind wesentliche Ursachen der Polizeikrise.

Was tun? „Wir brauchen eine radikale Dienstreform. Wir brauchen ausländische Berater, Sozialwissenschaftler und Sozialarbeiter vor Ort in den Dienststellen. Wir brauchen Supervision und Beratung für die Beamten, fähige Leute, die in der Lage sind, den einzelnen Polizisten bei der Bewältigung ihrer Alltagserfahrungen zu helfen. Das Dienstrecht muß demokratisiert, die Hierarchie ganz erheblich verflacht werden.“

Und: „Wie kann es sein, daß wir von Kindergärtnerinnen einen Fachhochschulabschluß verlangen, nicht aber von Polizisten, die den Drogenalltag auf St. Georg kontrollieren sollen?“ Kurz: Die Polizei solle endlich von einer militärisch strukturierten Behörde in einen hochqualifizierten Dienstleister umgemodelt werden, dem Begriffe wie „Personalentwicklung“ und „Lean management“ keine Fremdworte mehr sind. „Rot-Grün in Niedersachsen ist mit dem Einsatz einer Polizeireformkommission endlich mal einen Schritt in die richtige Richtung gegangen.“

Den Reaktionen des Hamburger Innensenators und des Bürgermeisters, der höchstpersönlich und gegen den Widerstand des Staatsrates Dirk Reimers die Massensuspendierung von 27 Beamten anordnete, wird von unseren Gesprächspartnern „schlicht als Katastrophe“ bezeichnet: „Man kann doch nicht in blinder Reaktion gleich den ganzen Laden an die Wand klatschen. Die sind in Kürze alle wieder im Dienst. Hackmann, der eigentlich vieles in die richtige Richtung versuchte, hat bei seinem Rücktritt einfach die Nerven verloren, der Bürgermeister dann in schlecht beratenem Aktionismus eingegriffen. Wenn ich Hinweise auf Mißhandlungen und Nazismus habe, dann muß ich wasserdicht recherchieren, um die Jungs wirklich zu packen.“

Unseren Gesprächspartnern schwebt eine „Innenrevision“ vor, eine Abteilung zur Supervision der Polizei, die allerdings – der höheren Akzeptanz wegen – „ohne Strafverfolgungszwang“ agieren dürfen müsse. So könne sie auch präventiv tätig werden.

An die Spitze der Hamburger Innenbehörde wünschen sich unsere – männlichen – Diskussionspartner eine Frau: „Eine Hackfrau, nur mit besseren Nerven – das wär's.“ Zumindest aber, so hofft einer: „Ein Mann mit femininen Eigenschaften. Einer der zuhören kann, ganzheitlich denkt, die Polizisten ernst nimmt. Dann haben wir zumindest eine minimale Chance, daß sich die Situation der Polizei in ein paar Jahren positiv verändert.“

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