: Selbstmord-Gene für den Aufschwung
Hochtechnologie-Standort Berlin – eine taz-Serie (Teil 3): Die Hauptstadt der Gentechnologie / Kombination von Forschung und Produktion am Max-Delbrück-Centrum in Buch ■ Von Hannes Koch
Neben der vielgelobten Eigenschaft, über Nacht literweise Bier und Wein verarbeiten zu können, hat die menschliche Leber eine weitere Qualität, die sie von allen anderen Organen unterscheidet. Schneidet man die Hälfte ab, wächst sie innerhalb einer Woche wieder nach. Zwar ein bißchen unordentlich und nicht getreu ihrer alten Form, aber immerhin.
Die erstaunliche Fähigkeit schlägt manchmal jedoch ins Negative um, wenn anstatt des streng kontrollierten und begrenzten Ausgleichs bei einer Amputation plötzliches, chaotisches Zellwachstum einsetzt. Dann wuchern Geschwüre, Tumore, Leberkrebs, die den gesamten Organismus an den Rande des Abgrunds bringen. Michael Strauss, Biologe am Max- Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Buch, ist sowohl dem günstigen wie dem gefährlichen Mechanismus auf der Spur. Als Leiter einer Arbeitsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft sucht er nach den genetischen Ursachen des Zellwachstums – in der Hoffnung, bald eine Gentherapie gegen Leberkrebs entwickeln zu können.
Ein Produkt der Forschungsanstrengungen wird womöglich bereits 1995 im klinischen Versuch – an den PatientInnen also – ausprobiert. Die MedizinerInnen meinen, dann ein Verfahren zur Verfügung zu haben, mit dem sich die Krebszellen in der Leber abtöten lassen. Das funktioniert so: Im Labor wird ein entschärftes Virus mit einer fremden Erbinformation, einem zusätzlichen Gen, versehen. Das Virus wirkt als „Genfähre“ und schleust die Erbinformation in die Tumorzellen ein. Wird dem Körper dann ein bestimmtes Medikament gegeben, verwandelt das fremde Gen dieses in eine für die Krebszellen giftige Substanz, so daß die Zellen sterben. Die MedizinerInnen nennen die implantierte Erbinformation deshalb „Suizid-Gen“. Auch umliegende Krebszellen hauchen daraufhin ihr Leben aus. Das krebsfeindliche Paket aus Virus und Suizid-Gen befördern die BiologInnen zunächst noch mittels einer umständlichen chirurgischen Operation in die Leber, später vielleicht durch Injektion.
Michael Strauss arbeitete als Molekularbiologie bereits vor 1989 in Buch, als die DDR-Akademie der Wissenschaften dort noch ihre drei Institute für Molekularbiologie, Herz-und-Kreislauf-Forschung und Krebsforschung unterhielt, inklusive zweier Spezialkrankenhäuser, der heutigen Robert- Rössle- und Franz-Volhard-Klinik. Das 1992 gegründete Max- Delbrück-Centrum setzt als Großforschungseinrichtung die Arbeit der Akademie fort. Neunzig Prozent des Geldes kommen vom Bund, zehn Prozent vom Land Berlin. Grundsätzlich neu in Buch ist nur der im Entstehen begriffene Biomedizinische Wissenschafts-und-Technologie- Park, wo Privatunternehmen das produzieren sollen, was die staatlich finanzierten ForscherInnen des MDC vorbereiten und entwickeln. Motto: Arbeitsplätze durch Medizin- und Gentechnologie (Zahlen zum MDC und anderen Berliner Gentech-Anlagen siehe Kasten).
Wie nicht wenige seiner alten Akademie-KollegInnen will sich Molekularbiologe Michael Strauss im Wissenschaftspark auch privatwirtschaftlich engagieren. Er plant, eine GmbH für 10, später vielleicht 30 MitarbeiterInnen zu gründen, die sich auf die Weiterentwicklung und Produktion sogenannter „Vektoren“ spezialisiert: eben der Genfähren, mit denen zum Zwecke der Genmanipulation fremde Erbinformationen in Wirtszellen eingeschleust werden. Die Firma könnte Patente vom Max-Delbrück-Centrum kaufen und die Vektoren in Kleinserie produzieren, was im Forschungsbetrieb des MDC nicht möglich ist. Große Pharmakonzerne wie Schering sollen dann die Gentechnologieprodukte oder die Produktionsrechte für Großserien erwerben.
Diese stürmische Entwicklung der Gentechnologie wird von vielen KritikerInnen mit großer Skepsis betrachtet. Judith Demba, Abgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen, argumentiert: „Die WissenschaftlerInnen wissen gar nicht genau, was sie mit den Viren auslösen.“ In der Tat sind in einer einzigen Leberzelle etwa 15.000 Gene aktiv, deren Funktion und komplizierte Wechselwirkungen noch nicht annähernd erforscht sind. Niemand kann deshalb ausschließen, daß eine zusätzlich implantierte Erbinformation unbeabsichtigte Effekte oder gar neue Krankheiten in dem undurchschaubaren Netzwerk hervorruft.
Ein weiteres Problem stellen die Vektoren dar: Die als Genfähren verwendeten Viren werden zwar vor Gebrauch ihrer spezifischen krankheitsauslösenden Wirkung beraubt, doch wer will mit Sicherheit sagen, daß sie nicht durch Kombination mit anderen Substanzen im Organismus ihren zerstörerischen Effekt zurückgewinnen? Die beteiligten WissenschaftlerInnen sehen das einigermaßen locker. Jens Reich, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, Expräsidentschaftskandidat und als Molekularbiologe selbst am MDC tätig, meint, daß der Unterschied zwischen der Gentherapie und heute bereits bekannten Medikamenten so groß nicht sei. Auch Hormone und Antibiotika würden schließlich in die Erbsubstanz eingreifen.
Die Serie wird am kommenden Freitag fortgesetzt
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