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Tödliche Explosion war vermeidbar

■ Bauherr ließ Grundstück an der Pettenkoferstraße nicht auf Blindgänger untersuchen / Gefahr war bekannt

Die Explosion einer Fliegerbombe auf einer Baustelle in Friedrichshain, bei der am Donnerstag drei Menschen getötet und 17 schwer verletzt wurden, hätte offenbar verhindert werden können. Wie die Sprecherin der Senatsbauverwaltung, Petra Reetz, gestern betonte, biete ihre Behörde einen kostenlosen Service zur Auffindung von Blindgängern an, der vom Bauherrn des geplanten Bürogebäudes an der Pettenkoferstraße allerdings nicht genutzt worden sei. „Wir hätten anhand der Lage von Bombentrichtern auf alten Luftbildern geprüft“, so Reetz, „ob auf dem Gelände eine Gefahr durch Altlasten besteht.“ Eine Untersuchung des Grundstücks wäre auf Antrag „sofort eingeleitet“ worden. Grund dafür sei die zweifach bombenverdächtige Lage des Baugeländes, das nicht nur im Innenstadtring, sondern außerdem an Fernbahngleisen liege. Der Investor des Bauvorhabens, die Firma Obermeyer aus dem bayrischen Krailling, war gestern nicht zu erreichen.

Die Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg war am Donnerstag nachmittag auf der nahe der Frankfurter Allee gelegenen Baustelle detoniert, nachdem bei Bohrungen für das Fundament der Zünder beschädigt worden war. In Sekundenbruchteilen riß die Explosion riesige Löcher in die Wand des angrenzenden vierstöckigen Wohnhauses. Die Mieter wurden umgehend evakuiert. Umherfliegende Trümmerbrocken verletzten 17 Menschen; sieben von ihnen konnten nach ambulanter Behandlung wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. Die drei getöteten Bauarbeiter, 24, 47 und 60 Jahre alt, stammen aus Essen und Castrop-Rauxel.

Ob die Firma Obermeyer als Bauherr oder die Baufirma Heitmann fahrlässig gehandelt hat, konnte gestern nicht abschließend geklärt werden. Obwohl nach Auskunft der Bauverwaltung die fehlende Überprüfung „zumindest eine grobe Nachlässigkeit“ sei, liegt ein Verstoß gegen die Bauordnung offenbar nicht vor. Denn nur bei öffentlichen Bauvorhaben ist eine Baugrunduntersuchung nach Blindgängern zwingend vorgeschrieben. Das Angebot der Bauverwaltung, auch bei privaten Bauvorhaben kostenlose Untersuchungen durchzuführen, sei allerdings, so Reetz, eine „allgemein bekannte Tatsache“, die im vergangenen Jahr über 600mal genutzt worden sei. Reetz wörtlich: „Ein erfahrener Bauherr kennt die Möglichkeit, und das ist ein erfahrener Bauherr.“ Sie könne sich vorstellen, daß der Investor aufgrund der barackenartigen Bebauung des Geländes dem Trugschluß unterlegen sei, daß der Boden bereits überprüft worden und damit sicher sei. Nach Auskunft der Polizei wird bisher nur der Tathergang untersucht, zusätzliche Ermittlungen wegen möglicher Fahrlässigkeit gebe es derzeit nicht.

Unterdessen hat der Rechtsanwalt und frühere Umweltstaatssekretär der Grünen, Klaus-Martin Groth, darauf hingewiesen, daß neben dem Bauunternehmer auch die Bauverwaltung Friedrichshain haftbar gemacht werden könnte, weil auch im Bezirk eine mögliche Bombengefahr vor der Erteilung der Baugenehmigung hätte beachtet werden müssen. Falls eine Bombengefahr bestehe, so Groth, müßte die Verwaltung normalerweise dem Bauherren die Auflage erteilen, nach Altlasten zu suchen. Senatssprecher Butz kündigte indes an, daß man in der Finanzverwaltung prüfen werde, wer zur Entschädigung der Opfer verpflichtet ist. Die wohnungslos gewordenen Mieter wurden gestern provisorisch untergebracht und sollen nach Angaben von Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu (SPD) umgehend Ersatzwohnungen erhalten. Der Senat hat den Betroffenen eine Million Mark Soforthilfe zugesagt. Als Reaktion auf das Unglück hat die Bauverwaltung angekündigt, verstärkt auf ihr Angebot hinzuweisen. Eine Änderung der Rechtsvorschriften sei allerdings bisher nicht vorgesehen, so Reetz. Senatssprecher Heußen geht davon aus, daß über die Explosion am Dienstag im Senat gesprochen werden wird. Anne-Kathrin Schulz

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