■ Öffnung der Oberbaumbrücke: Das Trambahn-Märchen
Der 9. November ist ein strapaziertes Datum. Novemberrevolution, Pogrom und Mauerfall bilden fragwürdige Kerben in der deutschen Geschichte. Daß nun ausgerechnet die Öffnung der Oberbaumbrücke den Termin des Mauerfalls nach fünf Jahren symbolisch nachspielen muß, kann nur als Farce oder Zynismus – oder beides – verstanden werden. Auf vier Fahrspuren sollen dann die Pkws über die Ost-West-Verbindung brettern. 60.000 Fahrzeuge pro Tag werden zwischen Kreuzberg und Friedrichshain hin- und herstinken. Das Quartier wird rollend aufgemischt und wer nicht mitmacht, überfahren. Besiegelt ist auch das Märchen von der Trambahn, die von der Warschauer Straße über die Brücke in die Köpenicker Straße rumpeln sollte, wurden doch gerade die Fugen für die Schienen wieder zugegossen. Ist das nicht schon mehr als die symbolische Beerdigung der Trambahn, für die erst eine zweite Brücke an der Warschauer Straße gebaut werden müßte? Die Verlierer dieser Konzeption sind und bleiben die Fußgänger, Radfahrer und Anwohner. Die Radwege und Bürgersteige wurden auf einen minimalen Querschnitt zusammengestrichen. Die Eröffnung der Oberbaumbrücke am 9. November spiegelt somit jenen Wahn wider, die Vereinigung mobil herbeizurasen und die Freiheit mit dem Gaspedal durchzutreten. Die Ost-West-Verbindung als eine neue, ökologische und lebenswerte Brücke in die verkehrspolitische Zukunft zu verstehen leistet diese Sicht durch die Windschutzscheibe nicht. Der Brückenschlag, den öffentlichen Nahverkehr zu erweitern, wurde vertan. Die Symbolik des Mauerfalls, nämlich das Niederreißen existenzbedrohender Begrenzungen, kommt dergestalt unter die Räder. Der 9. November bleibt ein strapaziertes Datum, an dem auf der Brücke der Verbindung wohl Trennung, Stau und gute Laune herrschen. Rolf Lautenschläger
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