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Bis die Menschen „krümmeln“ ...

■ Seminar von Anti-AKW-Gruppen über Leukämie durch AKW-Emissionen: Studien belegen erhöhtes Krebsrisiko

Hamburg (taz) – „Krank durch Atomanlagen?“ – unter diesem Titel luden die „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW), die „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ sowie die „Eltern für unbelastete Nahrung“ zu einem Seminar nach Marschacht in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel. WissenschaflterInnen beantworteten diese Frage mit einem Ja.

Die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake legte den 160 TeilnehmerInnen der dreitägigen Veranstaltung Analysen vor, die die aktuelle Studie des Bremer Mediziners Eberhard Greiser vom Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) bestätigen. Demnach bestehe rund um das AKW Krümmel ein bis zu 175 Prozent erhöhtes Risiko, an Leukämie zu erkranken.

Laut Schmitz-Feuerhake gibt es einen „zeitlichen Bezug“ zwischen dem nachweislichen Austritt von radioaktivem Material und dem Beginn der Erkrankungen. So sei fünf Jahre nach dem ersten Entweichen von schädlichen Edelgasen vermehrt Blutkrebs aufgetreten. Dieser Zeitraum entspreche den Erwartungen bei radioaktiver Bestrahlung. Die Analysen der Physikerin belegen, daß von 1986 an zu mehreren Zeitpunkten in der Umgebung des AKW radioaktive Stoffe über das normale Maß hinaus festzustellen waren. In Boden, Pflanzen und Milch fanden sich zeitweise überhöhte Caesium- Werte, in den Bäumen Einlagerungen von Tritium und radioaktivem Kohlenstoff, und im Trinkwasser Konzentrationen von Caesium, die fast viermal höher lagen als nach dem Tschernobyl-GAU.

Bei den gefundenen Werten könne es sich keineswegs um Mengen gehandelt haben kann, „die im Rahmen genehmigter Emissionen liegen“. Übereinstimmend kritisierten die Bremer Physikprofessorin und der Physiker Lothar Hahn vom Öko-Institut Darmstadt die Überwachungsprogramme, die radioaktive Strahlung rund im das Kernkraftwerk messen und überprüfen sollen. Es werde an zu wenigen Orten und zu selten registriert, und bestimmte Strahlungen würden damit nicht erfaßt, bemängelte Hahn.

Aber auch bei normalem Betrieb würde in geringen Dosen Gamma-Strahlung freigesetzt. Dadurch komme es bei den Bewohnern der Umgebung zum Dauerbeschuß des Knochenmarks, dessen Folge Immunschwäche-Erkrankungen, Anämie und Krebs seien, erklärte Roland Scholz, Professor an der Universität München. Der Münsteraner Strahlenbiologe Wolfgang Köhnlein wies darauf hin, daß eine dauerhaft einwirkende niedrige Strahlendosis genauso gefährlich sein könne wie eine hohe akute Dosis. Doch solange „nicht gleich sämtliche Anwohner tot umfallen“ (Schmitz- Feuerhake), wird Krümmel womöglich weiter strahlen dürfen.

Am Freitag hatte die Fachkommission „Leukämie in der Elbmarsch“ der Landesregierung in Kiel weitere Untersuchungen empfohlen. Denn das Gutachten über ein erhöhtes Krebsrisiko könne nicht als Nachweis für einen Zusammenhang zwischen den Emissionen des AKW und den Krebserkrankungen angesehen werden. Die schleswig-holsteinische Umweltministerin Edda Müller erklärte zwar, daß es nicht zweckmäßig sei, zehn Jahre auf Ergebnisse der Wissenschaftler zu warten. Energieminister Claus Möller sieht jedoch keine Möglichkeit, die Genehmigung für das Wiederanfahren des seit gut einem Jahr abgeschalteten Reaktors zu versagen. Annette Bolz

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