: Die Wende kommt auf roten Socken Von Mathias Bröckers
Seit die roten Socken von der PDS sich mausern, in den Bundestag einzumarschieren, ist die Wahl wieder richtig spannend. Wenn dann noch die ohnehin überfällige FDP rausfliegt, könnte dem dicken Kanzler das Lachen am Wahlabend ganz schön vergehen. Denn daß die SPD an einer Rosa-Rot- Grünen Option so achtlos vorbeigeht, wie sie es jetzt kosmetisch beteuert, ist kaum zu erwarten. Sie wäre jedenfalls schön blöd, denn eine Große Koalition, Scharping als blockflötender Mini-Kohl am Hofe des Prachtkanzlers, kann für die Sozialdemokratie nur nach hinten losgehen – und wäre insgesamt ein Wasserfall auf die Mühle der allgemeinen „Politik(er)verdrossenheit“. Vier weitere Jahre Kohl, ob mit oder ohne Scharping, bedeuten vier weitere Jahre Stillstand und Aussitzen sämtlicher Probleme. Eine um Fischer und Gysi zum Quintett erweiterte Sozi- Troika dagegen könnte was bewegen, und zwar mehr als nur die schlotternden Socken von Pfarrer Hintze. Denn aller Personenwahl zum Trotz – die Regierung wirbt nur noch mit der nackten Birne des Kanzlers, nicht einmal das Parteikürzel hat Platz auf dem Plakat – gibt's ja sehr wohl noch ein paar dringende Reförmchen, mit denen jede Regierung Punkte machen kann: vom Tempolimit bis zur Energie-Steuer, von der Bafög-Erhöhung bis zum Öko-Beschäftigungsprogramm. Eigentlich kann es nur einen Grund geben, warum die SPD nicht zupackt, wenn sich die Chance zur Wende bietet: einen derart gigantisch verschuldeten Laden wie die „Bundesrepublik“ zu übernehmen muß jedem Unternehmer Alpträume bereiten. Längst nicht jeder hat die Bräsigkeit, immer gewaltigere Schuldengebirge unverdrossen einfach vor sich her zu schieben und dabei von „blühenden Landschaften“ zu jodeln. Das soll dem jetzigen Generaldirektor erst mal einer nachmachen – und so könnte es passieren, daß Rudolf der Schwache angesichts der dräuenden Krise und dem schieren Herkules-Akt, einerseits Reformen durchzusetzen und andererseits den maroden Pump- Haushalt zu sanieren, sich lieber im Windschatten Kohls verdrückt, statt selbst das Steuer zu übernehmen. Schließlich war es schon immer etwas einfacher, den Karren weiter in den Dreck zu schieben, als ein Wendemanöver zu wagen – davon kann gerade die SPD ein Lied singen.
Um so lächerlicher ist es heute, wo der real existierende Kommunismus am Ende ist, die alte Angst vor der „Linksfront“ hochzukochen und davor zu warnen, sie „hoffähig“ zu machen. Als ob in einem Gysi noch ein Liebknecht oder Ulbricht steckt – es ist doch nur ein neuer Norbert Blüm! Das Gespenst vom bösen Iwan und seinen stalinistischen SED-Kadern, das gegen die PDS aufgezogen wird, ist abgestandene heiße Luft des erledigten Kalten Kriegs. Daß das mittlere Management der alten Diktatur eingebunden werden muß, wußte schon Adenauer. Wenn nur in drei Wahlkreisen genügend Ossis mit ihrem Wahlkreuz Rache nehmen am Bananenverkäufer Kohl, liegt die Wende auf der Hand – je länger die dumpfe Propaganda gegen die „rotlackierten Faschisten“ läuft, desto besser werden die Chancen. Wenn es dann trotz allem zur Großen Koalition kommen sollte, bleibt uns nur das alte Lied: „Wer hat uns zu wenig verraten – Sozialdemokraten.“
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