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Kein Krieg, aber auch kein Frieden

In Ruandas Nachbarstaat Burundi häufen sich blutige Zwischenfälle zwischen Tutsi und Hutu / Gegen die gewählte Regierung sucht die Tutsi-Minderheit den „Putsch auf Raten“  ■ Aus Bujumbura Bettina Gaus

Die Straßen des Viertels Kamenge in Burundis Hauptstadt Bujumbura sind menschenleer. Drei Tage lang lieferten sich in der vergangenen Woche hier Militärs schwere Gefechte mit bewaffneten Milizen. Diplomaten halten es für möglich, daß die Kämpfe „mehr als tausend Tote“ gefordert haben.

Seit einigen Tagen herrscht nun gespannte Ruhe – aber sie kann trügerisch sein: „Letzte Nacht sind die Soldaten mit Bajonetten nach Kamenge gegangen und haben Bewohner umgebracht. Deswegen hat man keine Schüsse gehört. Aber das Töten geht weiter“, meinte ein burundischer Schauspieler am Wochenende. Er gehört zur Bevölkerungsminderheit der Tutsi, die in Burundi das Militär dominiert, und er zeigt durchaus Verständnis für die Armee: „Die Soldaten haben einen Grund für das, was sie tun. Sie haben ihre Freunde sterben sehen. In erster Linie sind sie Tutsi – und dann erst Militärs.“

Die Bevölkerungsstruktur Burundis gleicht der des Nachbarstaates Ruanda, wo in den letzten Monaten Tutsi zu Hunderttausenden von Milizen der früheren Einheitspartei, die von der Hutu-Mehrheit beherrscht wurde, massakriert worden sind. Ausländische Beobachter in Ruanda befürchten nun in Burundi ein vergleichbares Blutbad. In der südruandischen Stadt Butare bereiten sich Hilfsorganisationen auf einen möglichen Ansturm von Flüchtlingen vor: „Wir haben ausreichend Vorräte angelegt, um etwa 150.000 Leute eine Woche lang versorgen zu können“, erklärt Kofi Mable vom UNO- Flüchtlingswerk UNHCR.

In Burundi selbst glaubt allerdings kaum jemand an einen plötzlichen, landesweiten Ausbruch von Gewalt. Viele halten es für weit wahrscheinlicher, daß die Zahl von Terrorakten weiter ansteigen wird, ohne daß es zum offenen Bürgerkrieg kommt.

Die politischen Verhältnisse in Burundi sind trotz vergleichbarer Geschichte und Bevölkerungsstruktur grundlegend andere als die in Ruanda. In Bujumbura behielt das ursprüngliche Herrschervolk der Tutsi, das in Ruanda vor der Unabhängigkeit von der Macht vertrieben worden war, das Ruder auch nach dem Abschied der belgischen Kolonialherren in der Hand. Im letzten Jahr gelangte durch freie Wahlen mit Melchior Ndadaye erstmals ein Hutu als Präsident an die Spitze des Staates. Radikale Tutsi-Kreise mochten sich mit dem Verlust der Macht nicht abfinden. Ndadaye starb bei einem Putschversuch von Teilen des Militärs im Oktober. Sein Nachfolger saß in der Maschine des ruandischen Präsidenten Habyarimana, die am 6. April von unbekannten Tätern abgeschossen wurde. Seither führt Parlamentspräsident Sylvestre Ntibantuganya in Burundi die Amtsgeschäfte, während die Parteien über einen Ausweg aus der politischen Krise beraten.

Beobachter werten die Entwicklung als „Putsch auf Raten“. Ein ausländischer Priester meint: „Hier in Burundi sind eindeutig die Hutu die Opfer.“ Für diesen Standpunkt spricht manches: 13 Parteien, die mehrheitlich nicht einmal im Parlament vertreten sind, Kirche, Gewerkschaften und Arbeitgeber haben eine „Konvention der Regierung“ ausgearbeitet, derzufolge die Opposition 40 Prozent aller Provinzgouverneure, Landräte und Botschafter und sogar 45 Prozent aller Ministerposten besetzen darf.

Die Macht des Präsidenten soll laut der Konvention erheblich beschnitten werden: Alle Dekrete muß der Premierminister, der der Opposition angehören wird, gegenzeichnen. Den meisten wichtigen Entscheidungen hat ein Sicherheitsrat zuzustimmen, der demnächst ernannt werden soll und voraussichtlich mehrheitlich von der Opposition besetzt wird. Auch die Rechte des Parlaments werden eingeschränkt: Die Abgeordneten dürfen der Übereinkunft zufolge, die bis zum Ende der Legislaturperiode 1998 gelten soll, die Regierung nicht durch ein Mißtrauensvotum stürzen. „Das ganze System läuft darauf hinaus, daß man künftig für alle Entscheidungen einen Konsens braucht“, erklärt ein Diplomat in Bujumubura. „Darin liegt aber auch die Gefahr einer Lähmung.“

Wer die Drahtzieher hinter den sich häufenden Gewaltakten sind, ist unklar. Obwohl das militärische Oberkommando sich dem geschäftsführenden Präsidenten gegenüber weitgehend loyal zu verhalten scheint, haben Soldaten im Landesinneren mehrfach Massaker an Hutu-Zivilisten verübt. In der Provinz Muyinga wurden am 4. September ein Gottesdienst und ein Markt überfallen: Militärs sollen dabei mehr als 60 Männer und Frauen und mehr als 20 Kinder umgebracht haben. Im Norden des Landes werden seit Wochen systematisch Bauernhöfe verbrannt. Neben Soldaten wird auch eine angeblich vom früheren Militärdiktator Jean-Baptiste Bagaza mitfinanzierte Tutsi-Miliz für die Greueltaten verantwortlich gemacht.

Auch radikale Hutu-Milizen tragen zur Verschärfung der Situation bei. Der ehemalige Innenminister Léonard Nyangoma soll von seinem Exil in Zaire aus deren Bewaffnung organisieren. „Nach meinem Eindruck haben die Extremisten beider Lager in den letzten Wochen an Rückhalt in der Bevölkerung verloren, aber sie werden militanter – vielleicht gerade deshalb“, meint ein ausländischer Beobachter.

Angst wächst in beiden Bevölkerungsgruppen. „Die Hutu wollen uns genauso ausrotten, wie sie das in Ruanda versucht haben“, fürchtet ein Tutsi-Geschäftsmann. „Ohne das Militär wären wir verloren.“ Zahlreiche Hutu sind dagegen inzwischen aus der Hauptstadt Bujumbura geflohen, unter ihnen viele Studenten. Die Verwaltung liegt lahm: Die Posten zahlreicher Provinzgouverneure, Landräte und Ministerialangestellter sind unbesetzt. Aus Furcht um die eigene Sicherheit fahren Regierungsmitglieder jeden Abend in einem Autokonvoi ins benachbarte Zaire, um dort zu übernachten.

Die deutsche GTZ, die in Burundi vor allem mit Landwirtschaftsprojekten vertreten ist, zieht aus der Entwicklung Konsequenzen. Bis zum Ende der Woche sollen alle deutschen Experten abgezogen werden – vorläufig für vier Wochen. „Hier sind strukturelle Probleme entstanden, die, wie ich glaube, dazu führen, daß erst einmal humanitäre Hilfe die Hauptrolle spielen wird und nicht die klassische Entwicklungszusammenarbeit, die unsere Aufgabe ist“, sagt GTZ-Koordinator Frank Bremer. Er hält den Abzug für richtig, weil „vernünftige Arbeit unter diesen Umständen nicht mehr möglich“ sei. Als falsches politisches Signal kritisiert er dagegen die Entscheidung, einige der Experten nun nach Ruanda zu entsenden: „Man hätte das nicht verbinden sollen. Wir stehen ja ohnehin im – unberechtigten – Verdacht, tutsifreundlich zu sein. Wenn wir jetzt nach Ruanda gehen, könnte dieser Verdacht verstärkt werden.“

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