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Ein Ständchen zum Prozeßbeginn

Kaindl-Prozeß gestern unter strengen Sicherheitsvorkehrungen eröffnet / Sechs Männer und eine Frau sollen 1992 ein Mitglied der rechtsextremen Deutschen Liga ermordet haben  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Rund 500 Demonstranten vor dem Justizgebäude im Berliner Bezirk Moabit und chaotische Verhältnisse in Saal 500, so begann gestern vor dem Landgericht der Prozeß gegen sechs Männer und eine Frau, die sich wegen gemeinschaftlichen Mordes und sechsfacher gefährlicher Körperverletzung zu verantworten haben. Sie sollen am 4. April 1992 den 47jährigen Schriftführer der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL), Gerhard Kaindl, erstochen haben. Bei dem Überfall auf die siebenköpfige Versammlung der Rechtsextremisten in einem China-Restaurant war der damals 28jährige Thorsten Thaler schwer verletzt worden. Die scharfen Einlaßkontrollen der Polizei verzögerten gestern den Beginn des Prozesses um drei Stunden. Zweimal unterbrach die Vorsitzende Richterin Gabriele Eschenhagen – die als liberale Juristin gilt – die Verhandlung, weil nicht alle Plätze im Saal besetzt waren. Sie war sichtlich nervös. So mußte sie auf Anfrage der Anwälte zugeben, daß am Tag zuvor der Staatsschutz mit ihr und den Schöffen ein Gespräch über Sicherungsmaßnahmen geführt hatte – eine „prophylaktische Maßnahme“.

Die Angeklagten im Alter zwischen 19 und 33 Jahren, die von vierzehn Anwälten – darunter unter anderem Christian Ströbele – verteidigt werden, wirkten gestern entspannt. Vier von ihnen stellten sich freiwillig den Behörden. Einige von ihnen sitzen seit November 1993 in Untersuchungshaft. Der 32jährige Mehmet R., der gestern Geburtstag hatte, wurde mit einem Ständchen von den Zuschauern begrüßt. Im Gegensatz zu sonstigen Verhandlungen mit politischem Hintergrund verhielten sich die ZuschauerInnen gestern ruhig.

Im Vorfeld hatte es selbst im Ausland Solidaritätsaktionen mit den Angeklagten gegeben. So demonstrierten in Paris und Lyon am Montag abend mehrere Dutzend Menschen gegen den Prozeß.

Die Rechtsanwälte Christoph Kliesing und Thomas Herzog monierten während der gestrigen Verhandlung, daß auf Anordnung der Richterin uniformierte und bewaffnete Polizeibeamte im Gerichtssaal sitzen. Dies nannte Kliesing „ungeheuerlich“, noch nicht einmal bei den Terroristenverfahren vor dem Kammergericht seien „derartige Maßnahmen angeordnet“ worden. Die Richterin müsse sich bewußt sein, daß sie durch ihr Verhalten die Verantwortung für das weitere Klima der Verhandlung trage.

Kliesing befürchtete gestern, daß die Öffentlichkeit vom weiteren Verlauf der Verhandlung ausgeschlossen werden könnte. Möglich sei dies zum Schutze des Angeklagten Erkan S., der zum Zeitpunkt der Tat 17 Jahre alt war. S. hatte gegenüber der Polizei umfangreiche Aussagen gemacht und damit die Verhaftungswelle ins Rollen gebracht. Der heute 19jährige gilt als psychisch labil und ist seit Februar diesen Jahres in einer Nervenklinik untergebracht. Kliesing erklärte gegenüber der taz, er habe nichts dagegen, wenn bei den Aussagen von S. die Zuschauer den Saal verlassen müßten. Einen möglichen generellen Ausschluß wertete er als Versuch des Gerichts, sich der Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu entziehen.

Die Verhandlung wurde am frühen Nachmittag unterbrochen, weil Erkan S. aus gesundheitlichen Gründen dem Geschehen nicht mehr folgen konnte. Es kam daher nicht einmal zur Verlesung der Anklageschrift. Der Prozeß wird nächste Woche Dienstag fortgesetzt.

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