Mit Bundesprominenz auf Stimmenfang

■ Das Kreuz mit dem Kreuz – eine taz-Reihe zum Bundestagswahlkampf in Berlin: SPD, CDU, FDP, PDS und Bündnis 90/ Die Grünen verpulvern 2,8 Millionen Mark

Wenn Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt in diesen Wochen das Raumschiff Bonn verläßt, um in die Berliner Häuserschluchten hinabzusteigen, kann er sich nicht nur ein Bild von der Stimmung, sondern auch vom Einrichtungsgeschmack seiner Basis machen. Die „Partei der Besserverdienenden“ (Bundesaußenminister Klaus Kinkel) kämpft um ihr politisches Überleben und sucht das Volk. Zweimal hat der FDP- Politiker schon auf sogenannten Hauspartys, die von Mitgliedern seines Berliner Landesverbandes organisiert wurden, das Sektglas geschwenkt und sich den Fragen der ausgewählten Gäste gestellt. Fünf Wohnungsbesichtigungen muß Rexrodt, Direktkandidat im Wahlkreis Kreuzberg/Schöneberg und zugleich auf Platz 1 der Berliner Landesliste, noch hinter sich bringen.

Andere Größen, wie Hans- Dietrich Genscher oder Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer, werden in den nächsten Wochen seinem Beispiel folgen. Am 16. Oktober wird sich zeigen, ob die Mischung der FDP aus Klein- und Großveranstaltungen und Hauspartys angekommen ist. Rund eine halbe Million Mark wird bis dahin für Plakate, Anzeigen, Saalmieten und sonstigen Wahlschnickschnack ausgegeben.

Ähnlich viel gibt auch die PDS aus. Die Meldungen der Springer- Presse, sie setze mehrere Millionen Mark allein in Ostberlin ein, wehrten die Genossen aus dem Karl- Liebknecht-Haus in Mitte mit Gegendarstellungen ab. „Wir geben nicht mehr als 500.000 Mark aus“, beteuert der Berliner PDS- Wahlkampfleiter Jens-Peter Heuer. Den Schwerpunkt bilden die fünf Ostberliner Wahlkreise, wo die Partei auf drei Direktmandate hofft. „Wir werden uns in den nächsten Wochen verstärkt unter die Leute mischen, um die Straßenhoheit zu erringen“, frohlockt Heuer. Daß man allerdings „mit Bataillonsstärke“ antrete, sei ein Vorurteil. Von den 21.000 Mitgliedern im Landesverband, der damit hinter der SPD (24.000 Mitglieder) der zweitgrößte in der Stadt ist, seien „nicht mehr als 500 aktive Wahlhelfer“, die meisten im Osten.

Gegen diese erdrückende Übermacht kann die SPD nur mit dem Mut der Verzweiflung ankämpfen. Unlängst ließ deren Jugendsenator Thomas Krüger, der im Wahlkreis Friedrichshain/Lichtenberg gegen die frühere DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft um ein Direktmandat kämpft, auf Wahlplakaten die Hüllen fallen. Die Partei hat einen schweren Stand. Nur 2.600 Genossen zählt die SPD im Osten. Um den Mangel an ehrenamtlichen Wahlhelfern auszugleichen, wurden unlängst 20 Parteimitglieder, zumeist junge Männer und Frauen, unter Vertrag genommen. Sie verstärken nun bis zum 16. Oktober den Straßenwahlkampf im Osten. Bei der letzten Bundestagswahl 1990 konnte die SPD vier der fünf Ostberliner Wahlkreise erringen. „Das wollen wir halten“, hofft Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung. Knapp unter einer Million Mark wird die SPD für den Bundestagswahlkampf ausgeben, fast 300.000 Mark mehr als die CDU.

Die Christdemokraten glauben fest daran, daß sie zumindest im Westen ihr gutes Wahlergebnis von 1990 wiederholen werden. Damals holten sie (15.000 Mitglieder, davon 3.000 im Osten) in Westberlin alle Direktmandate. Im Osten setzt man auf die Zweitstimmen. Wohl auch deshalb, um die ohnehin nicht besonders CDU-freundliche Stimmung noch weiter herunterzufahren, wird das von der Bundeszentrale angebotene „Rote Socke“-Plakat gegen die PDS kaum angefordert werden. „Ich habe nicht den Eindruck, daß die Kreisverbände dieses Material kleben werden“, erklärt Marco Hardt, Pressesprecher des CDU-Landesverbandes.

Die Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90/ Die Grünen investiert 175.000 Mark in den Wahlkampf. Hinzu kommen noch Mittel aus den einzelnen Bezirken. „Mehr als 200.000 Mark werden es am Ende wohl nicht sein“, meint Landesgeschäftsführer Norbert Schellenberg. Die kleinste der demokratischen Parteien (rund 2.900 Mitglieder) will sich von der Waschmittelwerbung der anderen Parteien absetzen.

Der Direktkandidat für Schöneberg/Kreuzberg, Christian Ströbele, ließ das Motiv für sein Wahlplakat vom Cartoonisten Gerhard Seyfried zeichnen. Trotz einiger Unterschiede im Detail – so werden Künstler 20 der insgesamt 40 großformatigen Plakate gestalten – haben aber auch die Alternativen mit der großen Konkurrenz gleichgezogen und die Bundesprominenz eingespannt: Am 29. September soll Hessens Umweltminister Joschka Fischer den August-Bebel-Platz im Bezirk Mitte füllen. Severin Weiland