■ Daumenkino: Rote Sonne
Deutschland, oder besser München, 1969. In der Luft liegen ein Hauch von Terror und zwei Hauche von Uschi Obermeier. Es ist meist Sommer. Die Kommune I produziert Traumpaare, maoistische Real-Operetten und neue Sexfronten. In dieser Situation dreht Rudolf Thomé, der „Sonderfall“ der Münchener Schule der Sensibilisten (versus die Politniks aus Berlin) einen kleinen amerikanischen Film. Vier Mädchen ermorden alle ihre Liebhaber, vier Bräute sehen schwarz, bis dann die Liebe dazwischentritt. Marquard Bohm war schuld. Es folgt ein Showdown am Starnberger See, den man sich anschließend und fürderhin als Idealplatz des eigenen Sterbens in Ruhe und Frieden erdenkt.
Wim Wenders, als es ihm noch gut ging, schrieb über Rote Sonne: Einer der ganz seltenen europäischen Filme, die das amerikanische Kino nicht bloß nachmachen wollen und damit zeigen, daß sie eigentlich in New York und mit Humphrey Bogart hätten gedreht werden müssen, sondern die vielmehr vom amerikanischen Film eine Haltung übernommen haben, ohne Aufdringlichkeit 90 Minuten lang nichts als ihre Oberfläche auszubreiten (...). Der Film spielt in München. Er schämt sich nicht darüber.“
Auch wenn man vielleicht „deswegen“ hätte schreiben sollen und müssen; die Sache mit der Oberfläche trifft es doch recht genau. Während die Klassenkameraden Fassbinder und Wenders ihre Fegefeuer in Ingolstadt und anderswo entfachen, bleibt Thomé kühl, kein Gefühl: München ist eine Stadt wie eine Weißlack-Frisierkomode: parfümiert, glatt, elegant und irgendwie egal. Die vier Mädels: verweht. Marquard Bohm: verwegen.
Ganz am Rande deutet sich an, was in den anderen Filmen Thomés als krude Utopie wieder aufscheinen sollte: Sein Science-fiction- Experiment Galaxis oder auch Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt, sind Ansammlungen beliebig kompatibler Paare; andererseits treiben diese sich, einmal zusammengekommen, auch auf die merkwürdigsten Weisen in den Tod. mn
„Rote Sonne“, Regie: Rudolf Thomé, Mit: Uschi Obermeier, Marquard Bohm. BRD, 1969, 89 Min.
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