Der tiefe Fall des starken Mannes

Neapels einst potentester Christdemokrat unter Hausarrest / Anschuldigung gegen den Ex-Innenminister Antonio Gava: Bildung einer camorristischen Bande / Fast hundert Haftbefehle  ■ Aus Rom Werner Raith

Daß man sich mit dem Mann nur Ärger auf den Hals lade, hat Antonio Gava, heute 62, schon vor drei Jahren vorausgesagt: Da war der bullige Staatsanwalt Antonio Cordova noch im fernen Kalabrien tätig und ermittelte gegen Mafiosi und Geheimlogen. Da Cordova in diesem Zusammenhang auch auf enge Verbindungen regionaler Politgrößen mit allerlei Dunkelmännern gestoßen war, hatte der damalige sozialistische Justizminister Claudio Martelli alles darangesetzt, Cordova von seinem Posten wegzuekeln. Das gelang ihm zwar, aber Cordova ließ sich nach Neapel versetzen.

Und nun haben die Politiker erst so richtig den Salat: 98 Haftbefehle hat der fleißige Staatsanwalt in dieser Woche hinausgesandt, und dabei hat es auch Gava selbst sowie mehrere Exparlamentarier und Staatssekretäre, Unternehmer und Halbgrößen erwischt. Gleichzeitig wurden Kapitalien und Güter im Wert von umgerechnet insgesamt eineinhalb Milliarden Mark beschlagnahmt – alleine von Gava sieben Villen und zehn Bankkonten.

Und die alte Politikergarde hat weiteres zu befürchten: dies sei, so Cordova, nur der allererste Anfang einer „Operation gegen einen Krebs, der Neapel umzubringen droht“. Mittelpunkt dieses Krebsgeschwürs ist nach behördlicher Ansicht just Gava, bis vor einem Jahr unumstrittener Herrscher Neapels und Königsmacher bei der Wahl aller Parteichefs seit der Ermordung Aldo Moros Ende der 70er Jahre. Mit seiner Verhaftung vom Dienstag endet der unaufhaltsam scheinende Aufstieg einer Dynastie. Inzwischen durfte der schwer Zuckerkranke, der auf einem Auge blind ist, in den Hausarrest.

Begonnen hatte der Aufstieg der Familie Gava mit dem Umzug vom Veneto nach Neapel während des Ersten Weltkrieges. Antonio Gavas Vater baute im südlichen Teil des Golfes ein ansehnliches Geschäftsimperium auf. Mit dreißig Jahren wurde Antonio bereits Regionalpräsident (vergleichbar etwa unseren Ministerpräsidenten), hebelte in den 60er Jahren die in Neapel herrschenden Monarchisten aus und wurde mit Hilfe eines verschachtelten Systems von Unternehmensbeteiligungen und politischen Verbindungen zum starken Mann am Golf.

Die Verfilzung mit dem Stadtgangstertum der Camorra kam erstmals deutlich zum Vorschein, als die Roten Brigaden 1980 den christdemokratischen Baudezernenten Ciro Cirillo entführten. Gava begann eine hektische Befreiungsaktion. Cirillo, vordem ein völlig unbekannter Politiker, wußte offenbar alles über Gavas illegale Tätigkeiten. Presserecherchen über den Fall endeten freilich immer im Nichts, einige Journalisten wurden dabei auch ermordet.

Nichts, wo Gava nicht dabeigewesen wäre

Der Dank für die Camorra war eine Flut öffentlicher Aufträge für halbseidene Unternehmen: Gava wurde unter dem Sozialisten Bettino Craxi Post-, danach Finanzminister, am Ende übernahm er für vier Jahre das für die Polizei zuständige Innenressort. In Neapel gab es nichts, was er nicht mitbestimmt hätte, von der Besetzung der Bankleiterposten bis zur Chefredaktion der größten Zeitung des Südens, Il Mattino.

Daß sich Staatsanwalt Cordova mit der Verhaftung Gavas zunächst einmal Prügel von Menschenrechtsverfechtern eingefangen hat, macht ihm nichts aus: „Das Gesetz ist für alle gleich, erst mal muß ich den Mann vernehmen, dann werten, ob er noch die Beweissicherung gefährden kann.“ Gava hat, so die ersten Indiskretionen nach der Vernehmung, mit der ihm eigenen geistreichen Brillanz und Ironie auf die Vorhalte geantwortet. Mittlerweile stehen 25 Anklagepunkte fest.

Tatsächlich wird es nicht leicht werden, ihn vor Gericht zu überführen: Zwar sind die Verbindungen zwischen Camorristen, Unternehmern und Politikern offensichtlicher als im Ambiente der sizilianischen Mafia, wo soeben der Prozeß um die Ermordung des Untersuchungsrichters Falcone begonnen hat. Gleichzeitig ist die Camorra aber schwerer juristisch zu fassen: In Sizilien herrscht ein einheitliches Leitorgan (die „Cupola“), das daher auch kollektiv als Auftraggeber für viele Geschäfte und Morde dingfest gemacht werden kann; in Neapel gibt es derlei nicht, so daß die Verbindungen von Politikern und Camorristen sozusagen Mann für Mann nachgewiesen werden müssen – und das überfordert die miserabel ausgestatteten und überlasteten Ermittler beträchtlich. Die Staatsanwaltschaft schiebt derzeit mehr als eineinhalb Millionen Verfahren vor sich her.

Eines, meint jedenfalls der derzeitige Innenminister Maroni, habe das Vorgehen der Staatsanwaltschaft immerhin gezeigt: „Niemand in diesem Lande ist mehr unantastbar.“

„Sein Wort in Gottes Ohr“ replizierte darauf die sonst gar nicht fromme Tageszeitung il manifesto.