: In den Niederungen der Kulturbourgeoisie Von Klaudia Brunst
Mein schwuler Freund pflegt diese Art von Ordnungssinn, bei dem man tatsächlich immer alles wiederfindet, weil man allabendlich das wichtige weglegt und das unwichtige in den Papierkorb schmeißt. Ein Prinzip, an dem ich schon deswegen scheitere, weil ich abends nie weiß, was ich morgens wichtig finden werde.
Um meinen „katastrophalen Bildungsstand“ zu missionieren, lud er mich neulich in die Oper ein. Ich hätte ja zwar viel lieber „Akte X – Die ungelösten Fälle des FBI“ geguckt. Aber auch meine Freundin fand einen so verbrachten Abend viel „kultureller“.
Nach dem „Figaro“ saßen wir dann noch versöhnlich in der gemütlichen Eßecke meines Lieblingsgriechen. Als der Kellner die Rechnung brachte, zog mein schwuler Freund mit den generösen Worten: „Laßt man, das hier geht auf mich“, seine alte Eintrittskarte aus der Hosentasche. Mit entsetztem Colliergriff starrte er den blauweißen Schnipsel an. „Oh Gott“, kiekste er, „ich glaube, ich habe vorhin in der Oper statt der Eintrittskarte meinen Hundertmarkschein in den Papierkorb geworfen.“ Die Inspektion seiner sämtlichen Gesäß- und Manteltaschen ergab denselben Befund: Seine Ordnung war tatsächlich durcheinandergekommen. Der Hunderter war weg.
Die Leitung des Opernhauses ließ sich zu so später Stunde schon durch Herrn Zielinski von der Wach- und Schließgesellschaft vertreten. Wir hätten Glück, meinte der durch die Gegensprechanlage, die Putzkolonne käme erst gegen fünf Uhr. Aber seine Vorschriften verböten ihm, uns ins Gebäude zu lassen. Wenn wir ihm allerdings beschreiben würden, was wir verloren hätten, wäre er durchaus bereit, den Gegenstand für uns sicherzustellen. „Nun“, meinte ich diplomatisch – denn Gelegenheit macht bekanntlich Diebe – „es sei mehr ein Gegenstand sehr persönlicher Art“, welchen wir da fälschlicherweise im Papierkorb des Parketts deponiert hätten. „Um Peinlichkeiten zu vermeiden, würden wir eigentlich lieber eben selbst nachschauen.“
Zielinskis Vortrag über die Gefahren des bewaffneten Kampfes, die man, selbst wenn sich die Linke derzeit in einer desolaten Lage befände, keineswegs unterschätzen dürfe, konterte ich mit dem Hinweis, daß es sich bei der soeben abgesessenen „Figaro“-Premiere um Pressekarten gehandelt habe, und daß mir der Verlust meiner derart persönlichen Habe womöglich den durchaus guten Eindruck der Vorstellung trüben könnte. Herr Zielinski mußte nur kurz überlegen, dann freute er sich, uns in diesem besonderen Fall „auch im Namen der Direktion“ im Hause begrüßen zu dürfen. Tatsächlich betätigte er kurze Zeit später den Türsummer und stapfte mit uns durch die dunklen Räume des Theaterfoyers. Papierkorb für Papierkorb rekonstruierten wir unseren Schlendergang durch die Premierenfeier, bis mein schwuler Freund den Hundertmarkschein beim siebten Versuch tatsächlich aus dem profanen Abfall der Kulturbourgeoisie fischte. Überglücklich freute sich Herr Zielinski mit uns (und „auch im Namen der Direktion“), unser kleines Problem gelöst zu haben, erbat sich dann aber noch die Erlaubnis zu einer letzten persönlichen Frage: „Wieso“, meinte er, „haben Sie eigentlich ausgerechnet zu diesem Hundertmarkschein eine so persönliche Bindung?“
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