: Wendehälse und Walesa–TV
Skurrile Reportageformen und von Parteiklüngelei gezeichnete Nachrichten schwappen aus Polens Fernsehern / Immer für eine Sendung gut: Lech Walesa auf Schritt und Tritt ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Jerzy Klechta wurde der breiten polnischen Öffentlichkeit Ende der achtziger Jahre als Moderator einer Talk-Show mit ausländischen Journalisten bekannt. Die Show wurde immer wieder von Einblendungen des damals in Polen noch raren Satellitenfernsehens unterbrochen. Die Einschaltquoten schlugen alle Rekorde, ein Drittel aller Polen über 16 Jahre sah sich die Sendung an. Das war zu kommunistischen Zeiten, und Klechta achtete stets darauf, daß an der Debatte eine ausreichende Zahl volksdemokratischer Korrespondenten teilnahm – von Rude Pravo bis Izvestija. Je mehr Polens KP ins Hintertreffen geriet, desto mehr verschwanden die Parteijournalisten aus den Sendungen. Mit der Gabe eines geborenen Lotsen hatte Klechta es verstanden, den Machthabern mißliebige Themen zu umschiffen.
Seit die KP, deren Mitglied er bis 1987 war, in der Versenkung verschwand, werden vor allem Themen ausgeblendet, die der Kirche unangenehm sind. Aus dem früheren Parteimitglied wurde übergangslos ein geradezu überschäumender Antikommunist, aus dem parteinahen Publizisten von einst ein kirchennaher Kolumnist mehrerer erzkatholischer Kurienorgane. Geschadet hat ihm die plötzliche Bekehrung nicht, schließlich ist es in Polen nichts Neues, daß kommunistische Intellektuelle plötzlich ihre antikommunistische Ader und Kirchenhasser ihr Christenherz entdecken.
Das eindrucksvollste Nest der polnischen Wendehälse ist dabei das staatliche Fernsehen. Böse Zungen behaupten, bei den rigiden Wachtposten am Eingang müsse man nicht nur die eigene Überzeugung, sondern auch gleich noch das Rückgrat abgeben. Bisher ist es noch niemandem gelungen, das geheimnisumwitterte Geflecht aus Seilschaften, Intrigantentum, Grabenkriegen und Parteiklüngelei zu reformieren. Es ist kein Problem, innerhalb eines Tages die Hauptnachrichtensendung des Ersten Programms komplett umzudrehen, so daß die gleichen Journalisten, die zuvor die polnische Rechte durch den Kakao gezogen haben, sich in rechtsradikale Fanatiker verwandeln und über die Linke herziehen. Viel schwieriger dagegen ist es, ihnen beizubringen, selbst zu denken und nicht mehr auf die Telefone aus dem Ministerrat, dem Präsidialamt oder den Parteizentralen zu hören.
Das versucht seit einem Jahr Wieslaw Walendziak, ein ehemals konservativer Journalist, der Polens Fernsehen öffentlich-rechtlich machen sollte. Zumindest ist es ihm gelungen, sich gegen die Angriffe von allen Seiten im Sattel zu halten – denn auch die Politiker haben das Chamäleon Fernsehen inzwischen liebgewonnen. Wer die Macht hat, hat das Fernsehen, und wer das Fernsehen hat, kann die Macht leichter behalten, lautete das Credo, das dazu führte, daß per Telefon Sendungen abgesetzt, Journalisten versetzt oder entlassen und die Nachrichten in letzter Minute „korrigiert“ werden konnten.
Die telefonische Fernsteuerung führte zum Entstehen eines eigenen polnischen „Reportagestils“, der darauf beruht, daß selbst bei einer fünfzehnminütigen TV-Reportage kein einziges Mal der Reporter selbst das Wort ergreift, sondern nur seine Zeugen zu Wort kommen läßt. Speziell sind auch Polens TV-Nachrichten, die keine Kommentare kennen: Sie sind der Kommentar. Als letzten Herbst Polens Exkommunisten an die Macht kamen, sollen die ersten unliebsamen Journalisten schon entlassen worden sein, bevor das Wahlergebnis feststand.
Selbst wenn es Walendziak gelingt, seine Institution von Parteien und Staatsmacht zu lösen, so bleibt ihm noch die Kleinarbeit, auch die Journalisten davon zu befreien. In Polen ist es nichts Ungewöhnliches, daß ein Journalist zugleich Pressesprecher einer Firma oder einer Behörde und im Nebenberuf Redakteur ist. TV-Moderator Jerzy Klechta arbeitet nebenher im Pressebüro von Präsident Lech Walesa und als „freier Mitarbeiter“ kirchlicher Zeitschriften.
Da Walesa aber auch solche Verflechtungen noch keine ausreichende Garantie für ein „präsidiales Fernsehen“ waren, gründete er vor einigen Jahren sein eigenes TV-Büro. Das verfolgt und filmt ihn, wohin er sich auch begibt, und nur diese Bilder durften im staatlichen Fernsehen gezeigt werden. Das Ergebnis, man ahnt es, kompromittierte den Präsidenten gelegentlich mehr, als es selbst ein Team eingeschworener Walesa- Gegner zustande gebracht hätte: Da kam die präsidiale Delegation, vom staatlichen Fernsehen sträflicherweise unbeachtet, von einer einwöchigen Indientour zurück. Der inzwischen abgesetzte Walesa-Sprecher Andrzej Drzycimski rügte die Medien in harschen Worten, sie hätten die eindrucksvollen, zukunftsweisenden Ergebnisse dieses überaus anstrengenden Arbeitsbesuches nicht ausreichend gewürdigt. Doch zum Glück gibt es ja die präsidiale Hofberichterstattung mit ihrem wöchentlichen Magazin „Direkt aus dem Belvedere“ – in dem der Präsident inzwischen gar nicht mehr residiert. Die zeigte jedoch statt eines abgehetzten Präsidenten einen wohlgenährten, mit sich und der Welt zufriedenen Lech Walesa, der mit selbstzufriedenem Grinsen den Tadsch Mahal besichtigte und an Schlangenbeschwörern vorbeiflanierte. Und das fünfzehn erbarmungslose Minuten lang.
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