: „Fußballer sind wie Kinder“
Beim Münchner Lokalderby standen Fußball-Schiedsrichter Hellmut Krug und seine bunten Kärtchen mal wieder im Mittelpunkt ■ Von Michael Schophaus
Herr Krug läuft gerne rauf und runter und rauf und runter und rauf und runter und pfeift sich in der Regel eins auf Schiedsrichters schlechten Ruf.
„Oh, hängt sie auf, die schwarze Sau!“
Na ja, die mußt du brüllen lassen, sagt er, am besten ignorieren. Wie damals, als er den Feldkamp am Betzenberg auf die Tribüne schickte. „Da müllten sie mir anschließend den Anrufbeantworter voll und drohten mit Mord.“ Ein paar Tage ging das so, und viele rieten ihm zum Polizeischutz. Herr Krug hatte einem Gott die rote Pappe vors Gesicht gehalten. Danach war wieder alles ruhig.
„Nichts Anständiges gelernt, was?“
Von wegen. Herr Krug hat Sport und Griechisch studiert. Wenn das nicht anständig ist! Und Lehrer zu sein hat ihm ziemlich geholfen bei seiner Arbeit auf dem Rasen. „Fußballer sind wie kleine Kinder“, sagt er, „sie gehen bis an ihre Grenzen und warten nur darauf, daß man sie in die Schranken weist.“ So weiß er auch um die Konflikte auf dem Platz, die von draußen keiner mitbekommt, und kennt seine Pappenheimer ganz genau. Von hinten foulen und von vorne schön harmlos gucken. Daß man sich dabei gelegentlich mit einem dahergelaufenen Ausputzer (Matthäus, Herr Krug?) schlechter unterhält als beispielsweise mit Thomas Helmer, liegt für ihn am völlig natürlich geistigen Gefälle unter den Menschen. In den Semesterferien war er mal Briefträger. Seidem blickt er durch.
„Schiedsrichter, Telefon!“
Vor der WM klingelte es bei ihm den ganzen Tag. Wenn er in seinem Büro der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) hockte, bei der er sich daheim in Gelsenkirchen um die Abteilung „Präventive Lebensführung“ kümmert. Zu jener Zeit machte er nur noch Termine mit der Presse aus, die plötzlich alle irgend etwas von ihm wissen wollen, seit er WM- Schiedsrichter wurde. „Erwähnen Sie die AOK“, sagte er, „dann können wir uns auch während meiner Dienstzeit treffen.“
Er war im Stern, Kicker, Playboy und im lokalen Teil der WAZ von Gelsenkirchen-Buer. Überall stand A-O-K, und er bekam frei.
„Der pfeift doch aus dem letzten Loch!“
Der Anfang war schwer. Denn Klein-Hellmut begann bereits mit 16 Jahren, Männern die Flötentöne beizubringen, die viel älter waren als er. Papa Schiri wollte das so, weil er höchstselbst großer Vorsitzender des Fußballkreises seiner Heimatstadt gewesen ist. Aber nach jeder seiner vielen Fehlentscheidungen hing der Haussegen schief. „Eigentlich wollte ich lieber wie die Schalker vor die Bälle treten, anstatt mit meinem Vater übers letzte Abseits streiten“, sagt Herr Krug. Aber Kicken ging nicht. Zu dünn. Zu schlecht. Zu zimperlich. Da konnte er sich besser was zusammenpfeifen und sein Taschengeld aufbessern. Nun kriegt er 2.500 Mark für 90 Minuten Bundesliga und bekam schätzungsweise 20.000 Dollar für vier Wochen WM. Hellmut, der stille Schussel aus dem Ruhrpott, ist nur noch selten ein „zerbrochener Krug“ (Hamburger Morgenpost).
„Schiiiiiieeeeber!“
Denkste, sagt Herr Krug, nicht bei so einer Karriere. Über sechzig Mal Bundesliga, einige Male Europacup, seit 1991 FIFA-Schiedsrichter und bei der WM in den USA mit 38 Jahren einer der besten Pfeifenmänner des Turniers. Schnell, freundlich, streng und immer auf der Höhe, zumindest der des Balles. „Ich bin zufrieden, wenn nach dem Spiel niemand von mir redet.“ Das war beim Münchner Derby am Mittwoch nicht gerade der Fall. Nach dem 3:1-Sieg der Bayern gegen die Sechziger redete alles von Hellmut Krug und seinen Platzverweisen für Nerlinger, Schwabl und Winkler. „Blinde Sau“, hatte Winkler geschimpft, allerdings nicht den Schiri, sondern den Linienrichter gemeint. „Die haben wir hier nicht“, sprang Krug für seinen Fahnenschwinger in die Bresche und wedelte mit Rot.
Seit zwei Jahren ist er der Star unter den kurzen, schwarzen, deutschen Hosen. Nur eine Sache hängt ihm nach. Als man ihn und einige seiner Kollegen für ein paar Wochen sperrte, weil er in Nürnberg vor dem Spiel eine Gesundheitsmatte und ein Trampolin annahmn. „So ein Kinkerlitzchen und soviel Trara.“ Er versteht es bis heute nicht.
„Arschgeigen der Nation!“
Wie gesagt, Herr Krug war mal im Playboy. Deutschland, deine Pfeifen, titelte der, und Schiedsrichter sind die Arschgeigen der Nation. Komische Kerle mit schaukelnden Wänsten und Karriereknick, denen einer dabei abging, jungen Millionären nachzupfeifen. Armselige Gestalten, die herumfuchtelten, als wollten sie ein Flugzeug einweisen. Bedauernswerte Geschöpfe, die im Leben nichts zu sagen hätten und bei Muttern noch nicht einmal die kurzen Hosen trügen. Die schlecht drauf sind, wenn ihnen das Gummi an dem Leibchen kneift.
War ganz schön dicke, sagt Herr Krug, der Fotograf lag ständig auf dem Boden und blitzte ihm von unten ins Gesicht. „Da wußte ich gleich Bescheid.“ Nichts stimmte im Bericht, sagt er. Denn wer im Beruf nicht seinen Mann steht oder in der Familie, „hat vor 50.000 Leuten erst recht die große Flatter“. Herr Krug jedenfalls ist sehr selbstbewußt, wenn er ins Stadion einläuft. „Ich stellte eine unglaubliche Entwicklung meiner Persönlichkeit fest.“ Daran kann auch solch garstiges Tittenblatt nichts ändern.
„Hast du Scheiße im Kopp, Schiri?“
Oft scheint sich Herr Krug noch über den Flachgeist auf dem Platz zu wundern. Er als gelernter Altphilologe. Über den miesen Umgang mit der Sprache, wenn die sogenannten Sprüche kommen. Über die kurzen ausgekotzten Sätze, die manchmal wie aus dem Mund sabbernder Kinder klingen. Dann leidet er, ohne es jemals zuzugeben. „Nicht jeder kann einem vom Intellekt her bei der Begründung eines Urteils folgen“, sagt er, ansonsten stehe er unter Schweigepflicht, falls einer Namen wissen will. Oft muß er in Sekunden und ohne Fernsehkamera über Geld und Existenz entscheiden, und schon deshalb, das ist ihm klar, wird er auch nie geliebt werden.
„Das war erbärrrrrmlich“, raunzte Rune Bratseth, noch einer der Klugen und Besonnenen, als er mit Norwegen gegen Italien unterlag. „Das war erbärrrrmlich, diese Leistung von dem Krrrug.“
Tja, doch mit Verlaub, Herr Bratseth, Herr Krug bleibt, und Sie mußten gehen.
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