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„Kein Grund, weiterzumachen?“

Sat.1 zeigt „Scarlett“, die TV-Fortsetzung von „Vom Winde verweht“  ■ Von Thomas Pampuch

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Solch ein Schattenwerfen heißt heute „event“, und je größer der Schatten, desto größer das Ereignis. Hier handelt es sich um die acht Stunden der TV-Serie „Scarlett“, die vom 13. bis 20. November nicht allein die deutschen Wohnstuben mit Liebe, Leid und Leidenschaft vollpumpen wollen. Blut, Schweiß und Sperma werden weltweit fließen in der „aufwendigsten Fernsehproduktion aller Zeiten“. Und natürlich Tränen. Denn „Scarletts ganzes Wesen ist Leidenschaft. Viel hat sie schon durchmachen müssen, und auch die Fortsetzung erspart ihr nichts..“ Von wegen vom Winde verweht.

Der Schatten vor dem Sturm gastierte vergangene Woche in München, geladen von der Sat(t).1-Redaktion, die an diesem Abend ihrem Namen alle Ehre machte. Statt vier Folgen Scarlett ließ sie lieber vier Stunden Südstaatlermenü reichen. Die Kellner trugen Konföderiertenmützchen und reichten Drinks, die von Pfirsichen und Pfefferminz nur so quollen. Wo soviel Opulenz schon beim Essen waltet, kann doch eine Serie nicht völlig geschmacklos werden, oder?

Die Legende lebt... fünfzehn Minuten lang

Zwar sah die versammelte Journalistenschar nur ganze 15 Minuten des Gesamtwerkes, aber erstens war es laut Pressetext „eine eindrucksvolle Zusammenstellung der Schlüsselszenen“, und zweitens wurde uns beim Mahle das anschwellende Bocksgefiedel der Schlüsselszenen mit jedem Gang aufs neue serviert. So war sich doch ein Bild zu machen davon, welch stürmischen Herbst uns das internationale Produktionskonsortium aus Kirch, Berlusconi, CBS und RHI Entertainment bereiten wird.

Über fünfzig Jahre, so weiß das Sat.1-Presse-Info, haben Millionen von Menschen auf jenes „Morgen“ gewartet, das Scarlett O'Hara am Ende von Margret Mitchells Roman und Victor Flemings Film leichtfertig als „auch noch einen Tag“ auslobte. Vor einigen Jahren machte sich Alexandra Ripley daran, jenes gestrige Morgen uns hier und heute auszubreiten. Und weil der Film schon damals viel bunter war – immerhin einer der ersten Farbfilme überhaupt – und außerdem als erfolgreichster Kinostreifen aller Zeiten gilt, mußte man nicht Leo Kirch heißen, um auf die Idee zu kommen, das Ganze wiederum auf Zelluloid zu bannen – auch wenn die schon auf Seite 21 des Werkes dahinsiechende schwarze Mammy die ahnungsvollen Worte „kein Grund, so weiterzumachen“ äußerte.

Allein das Casting stemmte sich einer Verfilmung entgegen, stehen heuer doch weder der saftige Clark Gable noch die schöne Vivian Leigh zur Verfügung. Aber wer neun Millionen Dollar allein für die Medienrechte ausspuckt, der findet auch Ersatz für alte Kinolegenden. Produzent Halmi wählte nach langem Suchen aus 2.000 Bewerberinnen die englische Schauspielerin Joanne Whalley-Kilmer aus, die sich als Christine Keeler in „Scandal“ für Höheres empfohlen hatte. Leichter war es mit der Rolle des Rhett Butler, weil – aufgepaßt Mädels! – „ein großer maskuliner, gut aussehender Mann leichter zu finden ist“. Timothy Dalton brachte im übrigen eine gewisse Erfahrung mit großen Schuhen mit, hatte er doch auch schon den x-ten James Bond gegeben.

James Bond küßt Christine Keeler

Ein routinierter Regisseur (John Erman, der auch Teile von „Roots“ gedreht hat), einige klangvolle Namen in den Nebenrollen (u.a. Ann-Margret und John Gieldud), 200 weitere Sprechrollen, 2.000 Komparsen und 53 Drehorte waren dann schnell gefunden. Nur das mit der Story war ein echtes Problem, weil Produzent Halmi auf Teufel komm raus „das ganze Buch und nicht nur einen Teil davon erzählen“ wollte. So bleibt also neben Scarlett auch dem Zuschauer nichts erspart: In der ersten Folge wird Scarlett von Rhett schwanger, in der zweiten geht sie nach Irland und bandelt mit einem Lord Felton an, in der dritten erwartet auch Rhett ein Kind, derweil Lord Felton eine Bedienstete vergewaltigt und dann Scarletts Vetter umbringt. In der letzten Folge wird auch Scarlett von Felton vergewaltigt, und als sie wieder erwacht, liegt dessen Leiche neben ihr...

Das alles und mehr ab 13. November weltweit zur Prime Time. Wer sich historisch herantasten will, kann am 2. November noch mal das Original sehen. Leo Kirch produziert derweil schon das zweitberühmteste Buch aller Zeiten als Serie: die Bibel. Morgen ist auch noch ein Tag.

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