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Realpolitiker ohne Realitätssinn

■ Harald Wolf, Mitglied der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus und ehemals bei der AL, antwortet auf den Vorschlag der Berliner Grünen Brüggen, Esser und Schulze, die PDS in die Regierung zu holen

Seitdem sowohl in Berlin als auch im Bund eine rot-grüne Mehrheitsbildung ohne die PDS kaum vorstellbar scheint, ist die bisherige Politik der Tabuisierung und Ausgrenzung der PDS zum Hindernis für eine grüne Regierungsbeteiligung geworden. Da mit der Aussicht, weiterhin die Oppositionsbänke drücken zu müssen, das heutige grüne Selbstverständnis, wonach Veränderung nur in der Regierung möglich ist, in seinem Innersten berührt ist, verwundert es nicht, daß bei den Bündnisgrünen eine Debatte über die Neubestimmung des Verhältnisses zur PDS aufgebrochen ist. Erstaunlich allerdings ist das Ausmaß von Realitätsverleugnung, das Brüggen, Esser und Schulze an den Tag legen, wenn sie – so als wären sie von allen guten Geistern verlassen – den Bündnisgrünen vorschlagen, in geradezu wendehalsartiger Geschwindigkeit die „SED-Nachfolgerin“, mit der man vier Jahre lang kaum ein vernünftiges politisches Wort gewechselt hat, zur koalitionsfähigen Partnerin zu küren.

Daß ein solcher Vorschlag schon bei Bündnis 90/Die Grünen nicht mehrheitsfähig ist, muß noch nicht gegen ihn sprechen. Schwerwiegender und entscheidend aber ist, daß das Projekt einer Koalition aus SPD, PDS und den Bündnisgrünen über keine tragfähige gesellschaftliche Basis verfügt. Allein die pure Tatsache einer Regierungsbeteiligung der PDS – völlig unabhängig davon, was diese Regierung tut oder läßt – würde eine gesellschaftliche Polarisierung auslösen, von der die gegenwärtige Kampagne der CDU/CSU gegen eine gar nicht vorhandene Zusammenarbeit der SPD mit der PDS nur einen schwachen Vorgeschmack gibt.

Eine Regierungsbeteiligung der PDS hätte mit gesellschaftlichen Widerständen zu rechnen, die unvergleichlich größer wären als diejenigen, die 1989/90 zum Scheitern der SPD/AL-Koalition geführt haben. Die damit verbundene politische Auseinandersetzung um das Für und Wider einer Koalition mit der PDS würde nicht nur die Mitgliedschaft und WählerInnenschaft von SPD und den Bündnisgrünen tief spalten. Zugleich würde die politische Polarisierung Berlins zwischen Ost und West auf die Spitze getrieben. Wenn es einen Ort gibt, der am denkbar ungünstigsten für Experimente mit einer Einbindung der PDS in die Regierungsverantwortung ist, dann ist es Berlin. Hier sind aufgrund der Erfahrungen mit der Spaltung der Stadt vor allem im Westen tief verwurzelte antikommunistische Ressentiments mobilisiert, die sogar bis in die Reihen der Bündnisgrünen reichen. Eine „rosa-rot-grüne Koalition“ wäre schon gescheitert, noch bevor die Regierungserklärung gedruckt vorliegt. Da sich die SPD zu solch einem politischen Harakiri nicht bereitfinden wird, wird es – abgesehen davon, daß die PDS auch nicht beabsichtigt, in eine Koalitionsregierung einzutreten – eine solche Koalition auch nicht geben. Auch zum Zeitpunkt der Abgeordnetenhauswahlen wird die SPD keine engere Form der Kooperation mit der PDS als im „Magdeburger Modell“ einer rot-grünen Minderheitsregierung zulassen können. Die SPD muß Distanz zur PDS wahren. Sie darf keine formellen Bündnisse, geschweige denn Koalitionen mit der PDS abschließen, will sie nicht den Eindruck erwecken, gemeinsame Sache mit den „SED-Nachfolgern“ zu machen, und damit Gefahr laufen, eine Zerreißprobe in Mitglied- und Wählerschaft zu riskieren. Mit anderen Worten: wer das „Magdeburger Modell“ ablehnt, der lehnt die einzige denkbare – schon schwierig genug zu realisierende – Alternative zur Großen Koalition ab. Statt dessen eine Koalition mit der PDS zu fordern, heißt die SPD für weitere vier Jahre in die Arme von Landowsky und Co. zu treiben.

Bleibt die Frage: Warum machen eigentlich kluge Leute derartig irreale Vorschläge? Der Grund ist die Furcht davor, daß eine nicht in Regierungs- und Koalitionsdisziplin eingebundene PDS eine rot- grüne Minderheitsregierung von links kritisieren könnte: „Nachdem sie schon jetzt große Teile unserer Programmatik abgeschrieben hat, käme sie jetzt noch in die vorteilhafte Situation, die konsequente Umsetzung unseres Programms gegen uns selbst einklagen zu können“, schreiben sie. Was aber ist so schlimm und verwerflich daran, die „konsequente Umsetzung“ des grünen Programms „einzuklagen“? Wenn die Autoren ihre Sorge formulieren, als „zahnlose Altpartei entlarvt“ zu werden, so ist dies vor allem eine illusionslose Prognose über die Durchsetzungsfähigkeit der Bündnisgrünen an der Regierung.

Statt wirklichkeitsfremde Strategien auszuklügeln, stünde es eher an, nach vier Jahren der Stigmatisierung der PDS zur Normalität der offenen und kontroversen politischen Diskussion und wo es sich anbietet, der parlamentarischen und außerparlamentarischen Zusammenarbeit, wie es zwischen konkurrierenden Parteien üblich ist, überzugehen. Ob und wenn ja welche Formen der Kooperation mit der PDS bei der Regierungsbildung möglich sind, entscheidet so und so die SPD und nicht die Bündnisgrünen. In der Zwischenzeit könnten diese nach Aufhebung der Kontaktsperre vielleicht auch ein wenig mehr über die PDS lernen – zum Beispiel, daß in der Regel diejenigen in der PDS, von „deren Offenheit, Radikalität und emanzipatorischem Erneuerungswillen“ Brüggen u.a. meinen, „durchaus auch lernen zu können“, von einer Regierungsbeteiligung der PDS nichts halten und die Unterstützung für eine neuerliche „staatstragende“ Rolle der PDS eher in anderen Bereichen der Partei gesucht werden müßte...

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