■ Linsen Soufflé: Salatbars, Gerüchteküchen und seltsame Absichten
Es geht los. Die Nominierungen werden zwar erst im Februar bekanntgegeben, aber in Hollywoods Salatbars ist das Thema jetzt schon top: Wer kriegt 1995 den Oscar? Beim Rätseln müssen einige Faktoren berücksichtigt werden. So gingen im vergangenen Jahr 15 der 20 Darstellernominierungen und vier der fünf Nominierungen für „Best Picture“ an Filme, die nach dem Labor Day am 5. September starteten. Dies wird auch in diesem Jahr nicht anders sein, orakeln die Yuppie-Manager. Robert Redfords „Quiz Show“ wird bereits hoch gehandelt. Der Film beschreibt einen Fernsehskandal in den 50er Jahren. Die Darsteller sind erstklassig: John Turturro, Ralph Fiennes und Martin Scorsese. Letzterer legt einen ätzend scharfen Kurzauftritt als allmächtiger Sponsor hin. In den Mineralwassertränken tippen sie allerdings auf Ralph Fiennes, der schon beim letzten Mal für seine Darstellung des Amon Göth in „Schindlers Liste“ nominiert worden war. Zum zehnten Mal, so die Gerüchte, soll die herbe Meryl Streep nominiert werden, diesmal für ihre Rolle in „Am wilden Fluß“. Im Gespräch ist auch Frank Darabont mit seinem Regiedebüt „Shawshank Redemption“ nach (jawohl!) Stephen King. Blauauge Paul Newman sowie Regisseur und Autor Robert Benton könnten mit „Nobody's Fool“ ins Rennen gehen, und Sir Anthony Hopkins' Leistung in „Willkommen in Welville“ gilt als stark oscarverdächtig. Nicht zu vergessen Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (Start hier: 3.11.), der ebenfalls als hot, hot, hot gilt.
Die letzten Oscars räumte bekanntlich Steven Spielberg mit „Schindlers Liste“ ab. Das hatte einen seltsamen Nebeneffekt, von dem sich erst noch herausstellen muß, wie er zu bewerten ist: KZ-Filme sind plötzlich „in“. Seit Mitte August dreht Michael Verhoeven („Das schreckliche Mädchen“) in der Tschechischen Republik „Mutters Courage“. George Taboris Erzählung über die Rettung seiner Mutter aus dem Konzentrationslager wird mit Pauline Collins, Ulrich Tukur und Robert Gigenbach in den Hauptrollen und Tabori selbst als Erzähler in Szene gesetzt. Auch ein Schindler à la francaise ist bereits in Arbeit. Sébastien Grall hat in Polen mit den Dreharbeiten zu „Les Milles“ begonnen, Jean-Pierre Marielle und Philippe Noiret spielen die Hauptrollen. Les Milles ist der Name eines kleinen Ortes in der Provence (man dreht in Polen, weil es billiger ist), wo sich unter der Regierung des Marschalls Pètain eines der bekanntesten französischen Konzentrationslager befand. Zahlreiche deutsche Emigranten, wie zum Beispiel Max Ernst wurden hier interniert. Aber auch einen „Helden“ soll es gegeben haben. Dem Soldaten Goruchon ist es nämlich gelungen, Hunderte von Gefangenen zu befreien. Natürlich erzählt „Les Milles“ Goruchons Geschichte. Jahrzehntelang wurde in Frankreich über das „Dorf der Schande“ weder geredet noch geschrieben. Erst in den 70er Jahren fingen einige Historiker an, darüber zu berichten. Jetzt, nach „Schindlers Liste“, ist mit „Rettung-aus-dem-KZ-Filmen“ eine schöne Stange Geld zu verdienen. Oder sollten hinter Verhoevens und Gralls Filmen wirklich nur ehrenvolle Absichten stecken? Karl Wegmann
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