: Krimis wie kreative Fachtexte
■ Gesichter der Großstadt: Bernhard Schlink, Jura-Professor an der Humboldt-Universität, schreibt Kriminalromane / Vieles in seinen Büchern hat autobiographische Bezüge
Bernhard Schlink liebt die Details. „Treffen wir uns zum Essen. Wie wär's mit 12.30 Uhr?“ fragt er am Telefon und beendet damit das Gespräch so, wie sein erster Krimi beginnt. Dort läßt die Sekretärin des Auftraggebers den Privatdetektiv Gerhard Selb wissen: „Das möchte er ihnen gerne beim Lunch im Kasino erläutern. Ist Ihnen 12.30 Uhr recht?“
Doch als Dekan der Juristischen Fakultät ist der Professor für Öffentliches Recht an der Humboldt- Universität arg in Terminnot. Aus dem Essen wird also nichts, statt dessen lädt er in sein Büro, von dem der Blick über die Linden auf die „Kommode“ geht, wo die Humboldt-Juristen demnächst einziehen sollen.
Daß Schlink seinem 1985 erschienenen und seither jährlich neu aufgelegten Lehrbuch zu den Grundrechten zwei Jahre später mit „Selbs Justiz“ ausgerechnet einen Krimi folgen ließ, mag Leute erstaunen, die für die kreativen Elemente rechtswissenschaftlicher Fachtexte wenig empfänglich sind. Der Autor dagegen sieht keinen grundsätzlichen Unterschied – auch beim Kriminalroman, sagt er, komme es auf „Stimmigkeit“ an. Bei der Verleihung eines Krimi- Preises habe er aus Kisten von Büchern dieselben fünf Titel ausgewählt wie die anderen Juroren. Daraus schließt er, daß es „offensichtlich doch ganz klare Kriterien gibt“.
Den Plots verdanken es seine Bücher, daß die Kritik sie in die Schublade des „gesellschaftskritischen Kriminalromans“ steckte. In „Selbs Justiz“ geht es um die NS- Vergangenheit der „Rheinischen Chemiewerke (RCW)“ in Ludwigshafen, hinter denen der Leser die BASF vermuten darf, in „Die gordische Schleife“ um Rüstung und Spionage, in „Selbs Betrug“ schließlich um Terrorismus und Giftgas auf einem amerikanischen Militärstützpunkt. Gleichwohl findet Schlink, eine politische Message solle ein Krimi nicht aufdrängen. Allenfalls sehe sein Protagonist Gerhard Selb „aus der Distanz des Alters Sachen, die nicht auf der Oberfläche sichtbar sind“. Für Schlink steht das Thema der Verstrickung im Vordergrund.
Das zeigt sich zumal an der Figur des Privatdetektivs Gerhard Selb, der als Nazi-Staatsanwalt 1945 entlassen wurde und – anders als die Kollegen – die Wiedereinstellung ausschlug. Gerade wegen der Dimension der deutschen Vergangenheit fiel die Wahl des jetzt 50jährigen Schlink auf einen wesentlich älteren Akteur. Für die Doppelbödigkeit der Hauptfigur nahm er auch Maß an seinem akademischen Lehrer Ernst Forsthoff, der aber – anders als Selb – 1945 Professor geblieben war.
Autobiographische Bezüge hat fast alles in Schlinks Büchern. Die beiden Selb-Geschichten spielen in Mannheim und Heidelberg, wo Schlink aufwuchs; auch Bonn, wo er lange lehrte, darf nicht fehlen. Hinter dem Juristen Georg Polger, dem in Südfrankreich lebenden Aussteiger und Hauptakteur in „Die gordische Schleife“, verbirgt sich Walter Popp, Ko-Autor von „Selbs Justiz“. Und seine Erfahrungen an der Humboldt-Universität, an die er schon im Januar 1990 als Gastdozent kam, wird sich im dritten Band der Selb-Trilogie niederschlagen, der 1996 erscheinen soll. Mit Vergangenheitsbewältigung, RAF-Terrorismus und Wiedervereinigung wäre dann die ganze bundesrepublikanische Nachkriegsgeschichte abgehandelt. Schon fertig ist dagegen ein weiteres Buch, zu dem Schlink nicht mehr verraten mag, als daß es kein Krimi ist: „Es ist halt eine Geschichte.“
Über mangelnde Anerkennung kann Schlink nicht klagen. Die Vereinigung der deutschen Kriminalautoren und das Deutsche Krimiarchiv zeichneten die Diogenes- Bändchen mit Preisen aus, die Frankfurter Rundschau lobte „raffinierte und sarkastische Plots“ sowie ein „präzises, unangestrengt pointenreiches Deutsch“.
Auch in die Gemeinde der deutschen Krimiautoren ist Schlink schon bestens integriert. Bei ihren – allerdings seltenen – Treffen herrsche „eine lockerere Kollegialität, als sie unter Juristen selbstverständlich ist“, sogar Ideen für neue Plots würden besprochen. Anders fällt die Reaktion der Professoren-Kollegen aus, die sich vor allem sorgten, er möge die nächste Geschichte „hoffentlich nicht in der Juristischen Fakultät spielen lassen“. Die einen fänden eine solche Nebenbeschäftigung wohl für einen Staatsrechtslehrer unangemessen, aber „den andern gefällt's“. Jedenfalls mag Schlink in beiden Sphären nicht mit der jeweils anderen Beschäftigung hausieren gehen: „Ich fände es nicht gut, mich damit interessant zu machen.“
Gern würde er aus dem Hobby eine zweite Hauptbeschäftigung machen. „Wenn das Leben ideal wär', würde ich ein halbes Jahr an der Uni sein und das andere halbe Jahr schreiben.“ Weil das Leben aber nicht ideal ist, widmet er sich derzeit den ganz profanen Problemen der Humboldt-Universität und kann mit seinen Ideen allenfalls „hier beim Bahnfahren, dort beim Fahrradfahren ein bißchen herumspielen“. Ralph Bollmann
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