Stadtmitte
: Verantwortung und Rebellion

■ Nur gemeinsam können die Bezirke gegen den Senat bestehen

Die Bezirke werden bei Sparmaßnahmen und Verwaltungsreform vom Senat in einer unglaublichen Weise über den Tisch gezogen und finanziell geknebelt. In der Öffentlichkeit findet dies kaum Beachtung. Für die Bezirke muß dies alarmierend sein: Was haben wir falsch gemacht, daß der Senat solch ein leichtes Spiel hat?

Wir sind es seit Jahren gewohnt, daß Hauptverwaltungen finanziell und strukturell gegenüber bezirklichen Ämtern und Einrichtungen bevorzugt werden. Früher bekamen sie größere Zuwachsraten, heute sinkt der Personalstand in den Bezirken um 3,6 Prozent und steigt in den Hauptverwaltungen. Der Schulsenator hat beispielsweise seine Stellen seit 1992 um zehn Prozent aufgebläht. Andererseits überträgt der Senat Aufgaben an die Bezirke, ohne die sachlichen und personellen Mittel zuzuweisen: bei der Einführung der 3. Pflegestufe in den Seniorenheimen, der Bildung der Umweltämter und jetzt bei der Übertragung der Widerspruchsangelegenheiten. Neben den ungerechten Sparmaßnahmen führen politische Entscheidungen zur Stärkung der Hauptverwaltungen und zur Schwächung der Bezirke – unter anderem beim Hauptstadtvertrag und beim Landesschulamt.

Dies zu beklagen nützt nicht viel. Den Bezirken fehlen Strukturen, die eine verantwortliche Mitwirkung auf Landesebene ermöglichen. So kommen sie als „Rat der Bürgermeister“ oder als Stadträte für ein Ressort nur dann zusammen, wenn der Senat einlädt. Der Anachronismus und Egoismus dieser Arbeitsstrukturen ist kaum vorstellbar. So ist es unüblich, daß ein Stadtrat seine Kollegen über den Briefwechsel mit dem Senat zu bezirksübergreifenden Fragen informiert. Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Bezirken zur gemeinsamen Nutzung einer Einrichtung sind ein Fremdwort. Um in der Stadtpolitik als demokratisches Korrektiv wirken zu können, müssen die Bezirke die Form ihrer Zusammenarbeit und der Kontrolle des Senats grundlegend verändern und professioneller gestalten. Der „Rat der Bürgermeister“ muß sich ein eigenes Sekretariat schaffen; nicht nur Senatsvorlagen kritisieren, sondern eigene Vorschläge und Gesetzesentwürfe erarbeiten; selber Fachleute anhören und in die Arbeit einbeziehen; tagen, wenn es die Bezirke für nötig halten; unsinnige Senatspläne durch bessere Alternativen in Frage stellen.

Da die Bezirke das strukturelle Ungleichgewicht zum Senat politisch nicht aufheben können, müssen sie für ihre Positionen die Unterstützung der Öffentlichkeit gewinnen. Das kann ihnen gelingen, wenn die Bezirke mit gutem Beispiel vorangehen und auch Tabuthemen ansprechen: Wer ein Landesschulamt verhindern will, muß Doppelarbeit abbauen und beispielsweise über ein Berufsschulamt sprechen. Wer über den Bürokratismus von Hauptverwaltungen schimpft, darf Mängel der eigenen Ämter nicht vertuschen. Wer die Bezirke in der Landespolitik stärken will, muß über eine Gebietsreform sprechen oder die unterschiedliche Größe der Bezirke bei der politischen Beschlußfassung berücksichtigen. Wer das System der organisierten Unverantwortlichkeit abschaffen will, muß Elemente von Leistungslohn und Gewinn-(oder Sparerfolgs-)Beteiligung einführen, auch wenn der Senat dies nicht vorsehen sollte.

Nur mit einer ausgewogenen Mischung aus Verantwortung und Rebellion können die Bezirke zu einem gestaltenden Faktor in der Stadtpolitik werden. Dirk Jordan

Kreuzberger Volksbildungsstadtrat, Mitglied Bündnis 90/Grüne