Zwangsehe mit Nebenwirkungen

■ Die geplante Fusion der Universitätskliniken Charit und "RudolfVirchow" wirft zahlreiche Probleme auf / Gesetzentwurf wird heute im Abgeordnetenhaus eingebracht / Bündnisgrüne warnen vor "Moloch"

„Die konstruieren einen Moloch“, warnt Bernd Köppl, der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Wenn es zur geplanten Fusion von Rudolf- Virchow-Krankenhaus (RVK) und der Ostberliner Charité kommt, würde Berlin über die größte Uniklinik der Welt verfügen. 2.000 Betten und 5.000 Beschäftigte bringt das Rudolf-Virchow-Krankenhaus in die vom Senat verordnete Zwangsehe ein, die Charité 1.350 Betten und 4.500 Beschäftigte. Doch es ist ein zweifelhafter Superlativ. Der gemeinsame Gesetzentwurf von SPD- und CDU-Fraktion, der heute ins Abgeordnetenhaus eingebracht wird, hat erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen. Aus beiden Kliniken gibt es Bedenken bis offenen Protest.

Bernhard Motzkus, der Verwaltungsdirektor des RVK, hat bei der Fusion von RVK und dem Klinikum Westend reichlich Erfahrungen mit den Tücken einer solchen Operation sammeln können. Er bemängelt, daß nach dem jetztigen Entwurf die notwendigen „kurzen, sehr schnellen Entscheidungswege“ nicht gewährleistet sind. Mit zwei Dienststellen sei der Klinikvorstand nicht handlungsfähig. Komplikationen sieht er auch voraus, wenn es weiterhin zwei Personalvertretungen gibt. Dies erschwere die notwendigen Versetzungen des Personals.

Ein „Durcheinander“ prophezeit Bernd Köppl wegen der Kompetenzüberschneidungen zwischen den Fachbereichsräten und der Gemeinsamen Kommission der beiden Kliniken. Während bis zum Jahr 1997 noch getrennte Fachbereichsräte bestehen bleiben, soll die Gemeinsame Kommission schon ab dem Inkrafttreten des Gesetzes dafür sorgen, daß die Entscheidungen beider Kliniken aufeinander abgestimmt werden. Doch die Aufgaben der beiden Gremien seien nicht klar von einander abgegrenzt, so Köppl. Die Fachbereichsräte, die nach dem Berliner Hochschulgesetz das maßgebliche Entscheidungsgremium sind, könnten somit jederzeit Beschlüsse der Gemeinsamen Kommission unterlaufen.

Auch in der Charité wird die Fusion mit Skepsis betrachtet. Zwar ist im Gesetzentwurf davon die Rede, daß beide Kliniken „gleichwertige Standorte“ darstellen, doch Charité-Sprecherin Marlies Scheunemann bemängelt diese Formulierung als „zu schwammig“. Sie befürchtet ein „Übergewicht“ des RVK, schon deswegen, weil die personalstärkere Klinik in den gemeinsamen Gremien auch stärker vertreten sei.

Die Charité-Spitze will auch gesichert sehen, daß sie alleine über die Verwendung der 800 Millionen Mark Investitionsmittel für Sanierung und Umbauten des Hauses entscheiden kann. Sonst sei zu befürchten, daß die Virchow-Klinik Ansprüche auf einen Teil der Gelder anmelden könnte. Nicht zu Unrecht, meint Köppl, denn die modernste Klinik Europas versuche schon seit zwei Jahren, beim Finanzsenator Mittel für die allerneusten technischen Geräte lockerzumachen. 10 bis 15 Millionen Mark Nachschlag jährlich hätte die RVK-Leitung gerne für Neuanschaffungen. Auch der Personalabbau bei Pflege- und Verwaltungskräften könnte zu Lasten der Charité gehen, befürchtet man dort. „In der Charité gibt es keine Mehrheit für die Zusammenlegung“, schätzt Köppl. Dekan Harald Mau sehe sich einer zunehmenden Opposition seiner MitarbeiterInnen ausgesetzt.

Diejenigen, die gegen das Fusionsgesetz sind, haben Bernd Köppl auf ihrer Seite. „Die Fusion legt beide Institute für mehrere Jahre lahm, weil alle mit der Umstrukturierung beschäftigt sind.“ Das habe sich bereits bei der Fusion von Westend und RVK gezeigt. Die erhofften Einsparungen könnten „mit geringerer Störung“ anders erwirtschaftet werden. Statt der bisherigen Zuschüsse von jährlich 600 Millionen sollen die drei Unikliniken innerhalb von zehn Jahren nur noch 500 Millionen Mark erhalten. Dieser Betrag könne auch durch ein kleineres Budget und Kooperationsabkommen erzielt werden. Um zu wirklichen Einsparungen zu kommen, hätte ein Einstellungsstopp verhängt werden müssen. Den gab's nicht – jetzt sind fast alle Gebiete doppelt besetzt. Durch die Hintertür der Fusion will sich der Senat außerdem einen langgehegten Wunsch erfüllen: Die Zahl der Medizin- Studienplätze soll um die Hälfte auf 600 pro Semester verringert werden. Köppl hält auch dies für fatal: „Damit bildet Berlin weniger Ärzte aus, als in der Stadt und der Region Brandenburg benötigt werden.“ Dorothee Winden