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Das Wunder für ein paar Pesos mehr

In Kuba sind seit acht Jahren erstmals wieder Bauernmärkte zugelassen / Die Preise sind höher als in den staatlichen Lebensmittelläden, aber niedriger als auf dem Schwarzmarkt  ■ Aus Santiago de Cuba Bert Hoffmann

Noch erscheint alles wie eine glückliche Ausnahme. Es gibt Kürbisse und Apfelsinen, Berge von Kochbananen und Säcke voller Maniok, Limonen, Chayote. Und Fleisch, richtiges Schweinefleisch, das nicht für Dollars verkauft wird und nicht in die Touristenhotels geht. Fleisch für Kubaner und kubanisches Geld, legal und ohne Mengenbeschränkung.

Es ist der erste Tag. Den Leuten gehen die Augen über. Drei pralle Schweinehälften hängen da an den Haken, eine vierte wird auf dem Holzblock zerhackt, zum Verkauf gegen Pesos. Der Ansturm ist enorm. Keine Warteschlange, ein wilder Pulk von Menschen, die sich alle nach vorne kämpfen, schreien, daß nun endlich sie an der Reihe sind. Frauen von rechts, die Männer von links. „Sonst kriegen wir ja nie was“, sagt Gladys, „die Männer sind ja rücksichtslos!“

Seit drei Stunden versucht sie hier, bis zum Fleischverkäufer vorzudringen. Aber Zeit ist relativ. Seit einem Jahr hat Gladys kein Schweinefleisch mehr gegessen.

25 Pesos kostet das Pfund, und der durchschnittliche Monatsverdienst in Kubas Staatswirtschaft liegt bei 200 Pesos. Doch noch rechnet man nicht so. Viele haben genügend Pesos zu Hause – ein Kaufkraftüberhang, den die Regierung abzuschöpfen versucht. Und am ersten Tag regiert nicht der Preis, sondern die Freude. Denn von der staatlichen Rationierungskarte kann niemand mehr leben. Selbst Grundnahrungsmittel sind extrem knapp geworden. Im Gebäude des Marktes, ein Stockwerk tiefer, befinden sich Ausgabestellen für rationierte Produkte – verschlossen, leer. Zerlegte Pappkartons, Papier, Müll im Kühlregal, darüber im Holzrahmen die Urkunde, daß dies eine „Unidad Modelo“ sei, eine vorbildliche Verkaufsstelle. An der Wand hängt die Preisliste: 70 Centavos das Pfund Fleisch erster Wahl, 60 Centavos für zweite Wahl. Am teuersten ist Filet: 2 Pesos das Pfund. Vergangenheit. Wann hier zuletzt ein Filet ausgegeben wurde, weiß niemand.

30 bis 60 Prozent aller Waren, schätzen Ökonomen in Havanna, werden auf dem schwarzen Markt gehandelt. Mit der Anerkennung eben dieser real existierenden Schattenwirtschaft begründete Fidels Bruder Raúl Castro denn auch das Comeback der Bauernmärkte, die 1986 abgeschafft worden waren. „Die Preise werden hoch sein, aber niedriger als auf dem Schwarzmarkt“, sagte der Armeechef im Fernsehen. Fidel hatte die Bauernmärkte noch als „Keimzellen des Kapitalismus“ verurteilt, heute läßt Bruder Raúl mit ebensoviel Pathos die Kehrtwende verkünden: „Um dem Volk zu essen zu geben, ist kein Risiko zu groß!“

Für Rafael und seine Mutter Yolanda ist das wenig Trost. Sie haben in den einstigen Lagerräumen auf der Rückseite des Marktgebäudes mit Holzbrettern einen winzigen Raum abgetrennt. Auf zwei Kakteen vor der Tür trocknen zerrissene Hemden. Rafael verdient als Schweißergehilfe 118 Pesos. Seine Mutter zeigt ihre Rentenbescheinigung nicht ohne Stolz: 37 Pesos im Monat. Den Markt besucht haben sie noch nicht. Sowenig sie auf dem Schwarzmarkt etwas ausrichten konnten, so unerreichbar ist für sie das Schweinefleisch, das jetzt legal verkauft wird. Der Andrang wird nicht bleiben, Rafael ist sicher: „Jetzt haben die Leute noch Pesos. Aber in zwei Monaten ist das Geld weg.“

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