: Die EU-Troika will Rushdie nicht sehen – oder doch?
■ Rushdie-Unterstützer sind „unglaublich überrascht“ über einen Kinkel-Brief
Rushdie möchte reisen können, nicht nur um seinen „Fall“ im öffentlichen Bewußtsein zu halten. Rushdie erhofft sich von den Reisen auch eine Normalisierung für sich selbst. Er braucht die Schriftstellerkongresse, den literarischen Tratsch, die Anregungen durch neue Städte wie alle anderen Schriftsteller auch. Haupthindernis ist dabei gar nicht Khomeinis Fatwa, sondern die unendlich komplizierte Vorbereitung seiner Reisen. Viele Reisen kann Rushdie gar nicht antreten, weil sich die Fluggesellschaften weigern, ihn mitzunehmen.
Hier genau setze die „schleichende Billigung“ der Fatwa ein, schreibt Frances D'Souza von „Article 19“ in einem Brief an Kinkel vom 18. August. „Mr. Rushdie hat große Schwierigkeiten, seine Reisefreiheit zu nutzen, obwohl gewährleistet ist, daß die Risiken minimal und beherrschbar sind.“ D'Souza fordert Kinkel in dem Brief „dringend auf, dieses Thema an geeigneter Stelle vorzutragen“.
Seit Dezember letzten Jahres richten sich die Erwartungen Rushdies vor allem auf Klaus Kinkel. Denn Kinkel ist in diesem Jahr nicht nur Außenminister des wichtigsten Handelspartners des Iran, sondern auch Präsident des EU- Außenministerrates. Er führt die sogenannte EU-Troika an, die sich aus ihm selbst, dem vorherigen und dem nächstjährigen Ratspräsidenten, also dem griechischen Außenminister Pangalow und seinem französischen Kollegen Juppé zusammensetzt. Die Erwartungen wurden enttäuscht.
Zwar wurde in Kinkels Amtszeit der 1992 in Edinburgh beschlossene „kritische Dialog“ fortgeführt, der vorsieht, daß die Fatwa und andere Menschenrechtsverletzungen in allen Treffen mit dem Iran angesprochen werden, ohne daß das Land geächtet wird. Aber für Rushdie hat sich dadurch nichts verändert. Der Mordaufruf wurde erst vor drei Wochen erneuert, das Kopfgeld erhöht. Im Rahmen des „kritischen Dialogs“ wurde Rushdie zuletzt ein Treffen der EU-Troika mit dem iranischen Außenminister Welayati am Rande der UNO-Vollversammlung in der letzten Woche versprochen. Das Treffen fand am 27. September auch statt, die Fatwa war nach Auskunft der Sprecherin des Auswärtigen Amts, Sparwasser, „einer der ersten Gesprächspunkte, und zwar auf der bekannten Linie, die eine sofortige Rücknahme fordert“. Zugleich war Rushdie versprochen worden, daß auf einem Arbeitsgruppentreffen des EU-Ministerrats die Frage seiner Reisefreiheit erörtert werden sollte. Am 16. September erhielt nun „Article 19“ einen Brief des Auswärtigen Amts mit der Mitteilung, „daß diese Frage beim letzten Arbeitsgruppentreffen aus Zeitgründen von der Tagesordnung genommen werden mußte“. Einen neuen Termin nennt der Brief nicht.
Im selben Brief, der vom Referenten J. Heidorn auf Weisung von Kinkel verfaßt wurde und der der taz vorliegt, erfährt man außerdem, daß die deutsche Regierung besser weiß, was gut für Rushdie ist, als Rushdie selbst: „Die deutsche Regierung“, steht da, „glaubt nicht, daß ein Treffen zwischen Herrn Rushdie und den Mitgliedern der Troika im Interesse des britischen Autors liegt. Im Gegenteil, angesichts der gegenwärtigen politischen Situation im Iran könnte zuviel Öffentlichkeit den iranischen Präsidenten dazu verleiten, seine Position zu verhärten, und uns noch tiefer in einen Konflikt hineinziehen, den wir in den letzten Jahren nicht zu lösen vermochten.“
Carmel Bedford vom „International Rushdie Defence Committee“, das mit „Article 19“ zusammenarbeitet, ist über diesen Brief „unglaublich überrascht“: „Rushdie wollte die Troika treffen, um sie an Zusagen zu erinnern. Schon im Dezember war ihm versprochen worden, daß seine Reiseschwierigkeiten auf europäischer Ebene zur Sprache gebracht werden. Außerdem setzt sich die Troika auch mit Welayati, dem Abgesandten eines Terrorregimes, zusammen – was wir gutheißen –, aber da ist es doch nur recht und billig, daß sie auch das Opfer dieses Terrors trifft!“ Die Hoffnung auf ein bürgerrechtliches Engagement von seiten Kinkels hat Bedford fahrenlassen. „Es kann ja sein, daß er bald nicht mehr Außenminister ist, seine Amtszeit als Ratspräsident ist ohnehin bald abgelaufen. Nächstes Jahr ist Frankreich dran. Da gelten die Bürgerrechte noch etwas.“
Das Auswärtige Amt machte auf Nachfrage der taz jetzt allerdings einen Rückzieher. Rushdie habe nicht persönlich und brieflich um ein Treffen mit der Troika nachgesucht. Falls er neue Aspekte vorzutragen habe, würde ein Treffen in Erwägung gezogen.
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