: Die Rache der beleidigten Gesundheit
■ Von ekligen Tabletten, Haferschleim, düsteren Gedanken über das unerwartet in Schieflage gebrachte Leben und Freunden, die nur von ihrer Krankheit erzählen wollen
Nichts geschieht zufällig. Als ich gerade an einem Feature über Gesundheit, Bioläden und Fitneßwahn arbeitete und vehement die hysterische Sorge um den eigenen Körper geißelte, rächte sich die beleidigte Gesundheit und schlug mich mit Krankheit. „Grippe“, dachte ich matt und konnte kaum noch aufstehen. Ein braungebrannt grinsender Zufallsarzt, in dessen freudloses Wartezimmer ich mich ein paar Tage später schleppte und der auch in Naturheilkunde und Akupunktur rummacht, was mir plötzlich vertrauenswürdig erschien, vermutete eine „Magenschleimhautentzündung“. Ein paar Tage lang kaute ich also eklige Tabletten, würgte ein bißchen Haferschleim und Hagebuttentee herunter und dachte viel über Magenschleimhautentzündungen nach, denn die sind bekanntlich ja vehemente Proteste des Körpers gegen die Lebensweise und Gefühlsökonomie dessen, der sie hat, und enden oft mit unrühmlichen Magengeschwüren. Also nahm ich mir vor, mein Leben zu ändern. Der Zeichner Holger Fickelscherer allerdings meinte, allzuschnell solle ich nicht von meinen Süchten und Gewohnheiten lassen. Radikale Veränderungen würden den Magen auch sehr anstrengen. Gern wäre ich seinem Rat gefolgt. Doch leider konnte ich eh kaum essen, trinken oder rauchen.
Eine Freudin erklärte, die meist männliche Magenschleimhautentzündung sei ein Äquivalent zur weiblichen Blasenentzündung; ein Freund berichtete, daß ins Krankenhaus häufig Leute eingeliefert würden, die dachten, ihnen wäre der Blinddarm geplatzt, obwohl sie nur unter Magenschleimhautentzündung litten. Nach einer Nacht im Krankenhaus treffen die sich meist schon im Morgengrauen im Raucherzimmer. Auf einem greisenhaft-unsicheren Spaziergang, den ich unternahm, um die Krankheit zu beleidigen, traf ich eine Kollegin. Sie sagte, ich sähe furchtbar schlecht aus. Das fand ich herzlos. Nun ja, hätte sie gesagt, ich sähe blendend aus, wäre ich vielleicht noch beleidigter gewesen.
Ein paar Tage und einige Wartezimmerstunden später fand man heraus, daß es sich bei meiner Krankheit in Wirklichkeit um Gelbsucht handelte und überwies mich (nach etlichen Wartezimmerstunden) an einen freundlich-wusligen Spezialisten. Nach einer interessanten Ultraschalldurchleuchtung sagte der lachend: „In Ihrer Leber ist ganz schön was los.“ Das könne durchaus ein Dreivierteljahr dauern. Ich könnte aber beruhigt sein: Gallensteine hätte ich nicht. Die hatte ich auch gar nicht auf meiner Rechnung gehabt.
Vorsichtig und nicht ohne Stolz trug ich mein gelbes Gesicht zum Edeka-Markt und kaufte mir irgendwelche „du darfst“-Produkte. Ungezogene Kinder zeigten mit dem Finger auf mich. In der Apotheke holte ich Sagrotan zur „Feindesinfektion“. Begeistert las ich: „Feindes-Infektion“ und wartete auf die Leute vom Gesundheitsamt, die die Seuchentauglichkeit meiner Wohnung überprüfen wollten. Alle paar Tage nahm man mir Blut am frühen Morgen und teilte mir hernach meine „Werte“ mit. Ich hatte zwar keine Ahnung, was es bedeutete, daß ich einen Leberwert von „1.000“ oder „300“ hätte, war aber trotzdem stolz auf die Zahlen meines Körpers.
Kranksein ist nicht das Schlechteste. Der Leidenserlaubnisschein mit dem Vermerk Hepatitis, gestattet unwidersprochenes Jammern oder schweigend leidende Mienen – weh dem, der vernünftelnd empfiehlt, sich damit abzufinden, nicht rausgehen zu können. Außerdem umstellen einen die ärztlichen Anweisungen mit Verboten, die das Verbotene in einem sehnsüchtigen Licht wieder neu werden lassen. Die Tage sind erfüllt von den tausend Verrichtungen des Nichtstuns wie: ständig im Bett liegen, Zeitungen lesen, Essen machen, Abwaschen, Wäsche waschen, Hände waschen, Post aus dem Briefkasten holen, Fußball gucken. Tausend Bekannte kommen, „damit du nicht völlig vereinsamst“. (Natürlich war es umgekehrt. Noch nie hatte ich soviel Besuch bekommen.) Zunächst erkundigen sie sich, wie man sich so anstecken könne. Mit Gästehandtüchern wurden sie beruhigt. Einige rannten trotzdem ihrerseits wiederum zu Ärzten, um ihr Blut prüfen zu lassen. „Man kann ja nie wissen.“ Meist stellen sie freudestrahlend fest, daß ich nun wohl auf Jahre keinen Alkohol mehr trinken dürfe. Dann reden sie über eigene Krankheiten. B. erzählte von Typhus – wochenlang hätte sie nur gekotzt; M. berichtete von seiner Bauchspeicheldrüsenerkrankung, die von einem „strahlenden“, unerträglichen Schmerz begleitet werde, der in der Fachsprache als „Vernichtungsschmerz“ gelte – da hätte sich schon so mancher aus dem Fenster geworfen –; A., ein befreundeter Journalist triumphierte damit, daß er „vorgestern“ quasi zusammengebrochen sei. Ständig sei ihm die „Magensäure hoch gekommen“ und hätte „Löcher“ in seinen Gaumen „gefressen“. Selbstverständlich sei er nicht zum Arzt gegangen. Er gehe nie zum Arzt. Detlef Kuhlbrodt
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