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Zurück in die schwarze Vergangenheit

In der Jungen Union versuchen die Konservativen, ihre Hausmacht weiter auszubauen / Reformer stellen einen Ausschlußantrag gegen ein Mitglied wegen antisemitischer Äußerungen  ■ Von Severin Weiland

Andreas Titze, Kreisvorsitzender der Jungen Union (JU) in Kreuzberg, fühlt sich in diesen Wochen an alte Zeiten erinnert. „Wir dachten, das wäre ein für allemal vorbei, aber nun fängt es offenbar wieder von vorne an.“ Was den 23jährigen erzürnt, ist die Rückkehr zur alten Methode der „fliegenden Kreisverbände“, mit der sich Reformer und Konservative vor Jahren im CDU-Nachwuchs ihre Mehrheiten zusammenzimmerten.

Jüngst feierte das Verfahren im Kreisverband Mitte seine Wiederauferstehung: Dort ließ sich der Konservative Mario Gallon zum neuen Vorsitzenden wählen, in dem er gleich eine Handvoll JU- Getreuer aus dem Kreisverband Treptow mitbrachte.

Der alte Amtsträger Michael Hahn, Reformer und stellvertretender Bundesvorsitzender, war vollständig überrumpelt worden. Ohnehin galt der 25jährige Ostberliner dem Landesvorstand seit geraumer Zeit als unsicherer Kantonist. Mehr und mehr hatte er sich in den vergangenen Monaten nicht nur versteckt vom zunehmend rechten Kurs der Berliner JU distanziert.

Für den Anfang November in Berlin anberaumten „Deutschlandtag“ der Bundes-JU wurde er denn auch nicht mehr nominiert. Statt dessen kungelte der Landesvorstand hinter verschlossenen Türen und schickte schließlich mit Ariadne Iuakimidis ausgerechnet die Freundin des Landesvorsitzenden Heiner Kausch ins Rennen. Sie bewirbt sich nun für die Konservativen um den Posten der Beisitzerin im Bundesvorstand.

„Ein legitimes, aber unübliches Verfahren“, meint dazu der Wilmersdorfer Kreisvorsitzende Karsten Heegewaldt. Denn bislang erhielten die Kandidaten für den „Deutschlandtag“ den Segen der Landeskonferenz. Trotz der Widerstände aus dem eigenen Verband wird Hahn, den die Reformer als eigenen Kandidaten vorschlagen werden, aller Voraussicht erneut zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Denn innerhalb der Bundes-JU genieße er unter den westlichen Landesverbänden „einen guten Ruf“, glaubt Titze.

Die jüngsten Auseinandersetzungen werfen ein Schlaglicht auf den Zustand der JU. Hahn, so wird gemunkelt, wurde auch deshalb nicht mehr von der Berliner JU- Spitze der Landeskonferenz als Kandidat für die Bundesversammlung vorgeschlagen, weil er sich mit seiner Kritik zu weit vorgewagt hatte. Im Mai hatte er zusammen mit vier Kreisvorsitzenden einen Brief an die CDU-Spitzenpolitiker Hanna-Renate Laurien und Eberhard Diepgen unterschrieben, in dem nicht nur der rüde Umgangston innerhalb der JU, sondern auch das „Liebäugeln“ mit „rechten Gruppierungen“ angeprangert wurde.

Auf Landesausschußsitzungen seien JU-Mitglieder, die sich in der evangelischen Kirche engagierten, als „Klerikalbolschewisten“ beschimpft worden. Vorstand und Vorsitzender hätten sich von solchen Angriffen nicht distanziert, so die Unterzeichner.

Verbalattacken dieser Art gehören mittlerweile zum Standard auf JU-Versammlungen. Kritiker wurden, so erinnert sich Titze, voller Haß als „fünfte Kolonne der Antifas“ oder „linksliberale Weicheier“ angegriffen. Die Reformer sind weitgehend isoliert. Der Versuch, den Landesverband vor einer rechten Psychosekte, dem „Verein für psychologische Menschenkenntnis“ (VPM), zu schützen, schlug fehl. Ein Unvereinbarkeitsbeschluß aus Steglitz wurde im Sommer vom Landesausschuß endgültig abgebügelt.

Jüngst mußten die Reformer mitansehen, wie das JU-Mitglied Olaf Lange, zugleich Vorsitzender einer VPM-Studentenorganisation an der Technischen Universität, an maßgeblicher Stelle eine Anti- Drogen-Ausstellung der CDU- Charlottenburg mitorganisierte. Das Abdriften in rechtsextreme Sphären ist kein Einzelfall. Vor der Landeskonferenz am 24. September sorgte ein Antrag aus dem größten Kreisverband Charlottenburg für erheblichen Wirbel, mit dem das in Bau befindliche Mahnmal für die Bücherverbrennung als „überflüssige und verantwortungslose Verschwendung von Steuergeldern“ diffamiert wurde. Diese und andere Formulierungen – in denen unter anderem die Ausgrenzung der Nazi-Kunst und die „fortschreitende Amerikanisierung unserer Kulturnation“ gegeißelt wurden – waren dann offenbar selbst dem Landesvorstand zu heiß und mußten von den Antragstellern wieder gestrichen werden. Nationalkonservative Töne, wie sie üblicherweise in rechten Zeitungen wie der Jungen Freiheit zu lesen sind, stimmen Teile der JU unverhohlen zu. Offen wurde vor Monaten darüber nachgedacht, ob das Verbot der Reichskriegsflagge nicht zurückgenommen werden sollte. Die Ausländerbeauftragte Barbara John gilt ohnehin manchen als personifiziertes Feindbild: Offen wird die CDU-Politikerin von rechten JUlern als „Volkskommissarin für Überfremdung“ beschimpft, auf Landesparteitagen gegen sie lauthals krakeelt.

Neuerdings üben sich die rechten Jungpolitiker auch im theoretischen Diskurs. Eine der Anlaufstellen ist dabei die Kanzlei des CDU-Abgeordneten Ekkehard Wruck, der seit einiger Zeit nationalgesinnte Parteimitglieder um sich schart. In geselliger Runde wurde dort auch ein 12-Punkte-Papier dreier JU-Mitglieder, in denen eine „starke volkskonservative Führung“ verlangt wird, diskutiert. Einer der Verfasser des ominösen Programms, Adriano Winkler, griff kürzlich tief in die antisemtische Vorratskammer: Die CDU als deutsch-konservative Bewegung könne sich das Wort „christlich“ aus ihrem Namen streichen, wenn jüdische Mitglieder wie der Frankfurter Michel Friedmann in den Bundesvorstand berufen würden. Das wollen die Reformer nicht durchgehen lassen. Der Kreisvorstand Wilmersdorf stellte bereits einen Ausschlußantrag gegen Winkler. Eine Entscheidung des Landesvorstandes steht allerdings noch aus.

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