: Modefotos en masse
Eine Ausstellung zur Modefotografie anläßlich des Jubiläums der deutschen „Vogue“ in Berlin ■ Von Brigitte Werneburg
Die Sache kommt aus Amerika, das Wort ist französisch und auch in Deutschland ein Begriff: Vogue. Seit 15 Jahren steht im Titel der Modezeitschrift nun ein „Deutsch“ im „o“. Die 1929 in Berlin schon einmal aus der Taufe gehobene Schwester der französischen, britischen und amerikanischen Ausgabe mußte wegen der beginnenden Weltwirtschaftskrise gleich wieder eingestellt werden. Dann kamen die Nazis, und das hatte mit Mode nichts zu tun.
Helmut Newton, der als Jude 1938 von Berlin nach Australien emigrierte, sieht dies anders. Newton gehört natürlich zu den Fotografen, deren Bilder die Modeillustrierte im Laufe dieser 15 Jahre veröffentlichte. Anläßlich dieses Jubiläums stellte das Magazin eine Auswahl von rund 250 Fotos zu einer Ausstellung zusammen, die zur Zeit in der Daad-galerie in Berlin zu sehen ist. Betritt man den Galerieraum, so hängt Lagerfeld zur Linken und Newton zur Rechten. Newton weiß so gut wie Alice Schwarzer, daß Politik in einen empfindlichen Bereich der Persönlichkeit eingreift: in die Selbstdarstellung nach außen. Die Schlußfolgerungen, die er daraus zieht, waren in der Novemberausgabe 1979, dem vierten Heft der deutschen Vogue, zu sehen: Newton fotografierte wieder in Berlin, Kleidermode von Lange und Pelze von Schrank, überinszeniert mit deutschem Schäferhund, blonder BDM-Zopffrisur und Männern in strengen Ledermänteln.
„Kunst oder faschistoide Propaganda“ hatte Schwarzer später gefragt – und sich seiner Fotos bedient. „Kommerz“ war Newtons Antwort, als er vor Gericht ging, um sein Honorar einzutreiben. Am 27. Juli dieses Jahres gab das Landgericht München seinem deutschen Verleger im Streit gegen Emma recht. Trotz aller Debatten – auch in der taz – kalter Kaffee: Die in den 70er Jahren so gerne inszenierten Kinostandbilder des Genres Sex and Crime und die frivolen erotischen Mini-Melodramen waren mit Beginn der 80er schon wieder passé. Und auch Newtons Zeit als Mode- und Frauenfotograf. Die 80er wurden prüde und die 90er politisch korrekt. Rien ne va plus. Daß Richard Avedon wieder Mode fotografiert, hat hier sicher seinen Grund. Denn die Modefotografie ist wieder klassisch geworden. Wie der Avedon der sechziger Jahre. Weißer Studiohintergrund, Models, Mode, Licht und sonst nichts.
Die Ausstellung zeigt, daß es Bill King war, der zu Beginn der 80er Jahre diesen neuen alten Stil wieder aufs Tapet brachte. Nur Guy Bourdin, das Enfant terrible der französischen Werbe- und Modefotografie, dem die Libération eine ganze Doppelseite widmete, als er 1991 starb, konnte die Models noch 1983 im kleinen Schwarzen so im Hotelzimmer inszenieren, daß die Phantasie des Betrachters jenseits des Bildes wild weiterlief. Interessanterweise wußten zu dieser Zeit die britischen Künstler Mitra Tabrizian und Andy Golding, die mit Fotografie arbeiten, diesen Melodramenstil zu nutzen, um Rassen- und Geschlechterstereotypen kritisch zu hinterfragen.
Richard Avedon, dessen große, vom Whitney-Museum initiierte Retrospektive derzeit in Köln Station macht, ist zweifellos Steven Meisels wichtigstes Vorbild. Als Meisel für die deutsche Vogue fotografieren sollte, mußte man ihm die Kameraausrüstung noch leihen. Auf seinen Fotos von 1984 treten die Models gegen den Papierhintergrund, der sich in einer Kurve zum Atelierboden krümmt, damit die Aufnahme jede räumliche Tiefe verliert. Der in dieser Stil-Kurve merkwürdig verzogene Schatten des ausgestreckten Modelbeins macht den Trick kenntlich und ist gleichzeitig einziges dekoratives Bildelement. Daß Meisel noch kein altbewährter Profi war, erkennt man an einem Handgriff, der am oberen Bildrand eines dieser Fotos sichtbar ist.
Inzwischen scheint es allerdings so, als ob Avedon in seinen Versace-Kampagnen eher Steven Meisel kopiert, als daß man in Meisel noch den Avedon-Imitator zu erkennen vermag. Bruce Weber überrascht mit Farbfotos von 1980, auf denen er romantische Mode in warmes Licht taucht. Herb Ritts hingegen ist 1985 erwartungsgemäß am Strand – besser im Sand – mit Bademoden zugange. Die strengen Schwarzweißabzüge zeigen ihn sichtlich bemüht um eine strikte Formalisierung von Körper und Raum. Und Karl Lagerfeld, der Mode nicht nur entwirft, sondern auch fotografiert, stilisiert die Schauspielerin Iris Berben 1991 vor dem abstrakten Hintergrund einer schwarz-gelben Geometrie. Auch Lagerfelds Kollege Thierry Mugler fotografiert. 1986 reiste er in die Sowjetunion, um seine Models als winzige, bunte Käfer auf die gigantischen Denkmale der Helden der Arbeit und des großen vaterländischen Krieges zu plazieren. Modeposen à la Soz art, die sich gegenüber den anderen – angenehm dicht gehängten – Bildern der Ausstellung exotisch abheben. Diese unprätentiöse Geste der Ausstellungsorganisatoren vermeidet es, sie zur hohen Kunst zu stilisieren. Gleichfalls lobenswert, daß es sich bei den Fotografien um sogenannte Vintage prints handelt, also erste Abzüge vom Fotografen, wie sie der Redaktion vorlagen. So jedenfalls zu schließen aus den Bildern Koto Bolofos, die Nastassja Kinski zeigen und am Rand mit den Worten „this is cover choice“ überkritzelt sind. Über diesen Werdegang eines Fotos bis zu seiner gedruckten Endfassung hätte man gerne ein bißchen mehr erfahren. Überhaupt scheint es ja fraglich, ob es ausreicht, die Fotos nur für sich sprechen zu lassen. Immerhin sind sie Teil eines ganzen „Systems der Mode“, dem Roland Barthes einmal ein vieldiskutiertes Buch widmete. Dort schrieb er, „es ist nicht der Traum, sondern der Sinn, der zum Verkauf animiert.“ Die New Yorker Modewerbungsgröße Peter Arnell übersetzt dies heute dahingehend, daß nicht Verführung, sondern Kommunikation der Clou, gar die Moral der Werbung sei. Doch damit fangen die Probleme erst an.
Die Modefotografie hat die Frau immer als Typus präsentiert, als eine Idee von der Frau, die in der modischen Inszenierung den Zeitgeist repräsentiert und auch schon mit ihm bricht, über ihn hinausgeht, als Artefakt. Von Natur keine Spur. Das erschreckt die misogyne Reaktion ebenso wie Teile des Feminismus. Und in denkwürdiger Allianz sind sie sich sicher, daß Mode und Modefotografie sowieso nur Handlangerdienste für eine kulturelle Normierung leisten, bei der die Frau selbst nicht das Geringste zu sagen hat.
Doch merkwürdig, eines wird in der Vogue-Ausstellung deutlich: Je aktueller die Fotos werden, desto weniger wissen Stage designer und Fotograf, wie sie die Frau postieren sollen, wohin, in welchen Rahmen sie noch paßt. Man behilft sich, indem man die Models Models spielen läßt, wie Albert Watson oder Doug Ordway. Die Gestik ist nur noch Zitat, ihre Künstlichkeit gebrochen, harmloser als nötig. Man behilft sich, indem man den Modezirkus als Modezirkus thematisiert, die Metapher also im Foto zirzensisch konkretisiert, wie es Peter Knapp 1982 tat. Man behilft sich, indem man vor dem weißen Fotohintergrund die individuelle Persönlichkeit einer schönen modischen Frau von bestimmt 70 Jahren als individuelle Persönlichkeit präsentiert, wie Walter Chin 1994. Man arbeitet mit Supermodels wie Linda Evangelista, Naomi Campell oder Cindy Crawford, die sowieso nur noch sich selbst repräsentieren.
Dieses Phänomen beschädigt weder die Mode noch ihre Trägerinnen, wohl aber die Fotografie. Sie wirkt etwas lahm, entschluß- und programmlos. Sensible Hyper-Ästhetik bei der Vogue, oder dort, wo die avantgardistischen Reserven vermutet werden, bei The Face, Arena oder i-D subkulturelle Anti-Ästhetik: den Fotos fehlt die Idee zur Frau im Zeitalter ihrer Emanzipation. Den Fotografen ist nicht das Model, wohl aber das Modell abhanden gekommen. Falls es in der Modefotografie wieder auftauchen sollte, liegt der Schluß nahe, daß es sich nicht um das Opfer, sondern um die Täterin handelt. Brigitte Werneburg
Berlin, Daad-Galerie bis 9. Oktober, anschließend geht die Ausstellung nach München und Bonn.
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