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■ Vom Umgang mit Tätern: in Haiti und anderswoRote Karte oder Jüngstes Gericht

Haitis Militärmachthaber stehlen sich davon. Polizeichef François schleicht sich über die Grenze in die Dominikanische Republik, und General Cédras ruft seine Anhänger nicht mehr zum Voodoo-Widerstand auf, sondern zur Ruhe. Zehn Tage vor der erwarteten Rückkehr Präsident Aristides machen die Putschisten im Einvernehmen mit der amerikanischen Besatzungsmacht reinen Tisch. Als ob ihnen die Fußballweltmeisterschaft zu Kopf gestiegen wäre, verhalten sich die Amerikaner in Haiti wie ein Schiedsrichter, der gegen Ende des Spiels dem Kapitän die rote Karte zeigt. Diejenigen, die den Karibikstaat in ein brutales und bitterarmes Rattenloch verwandelt haben, dürfen sich ins ruhige Exil begeben, voraussichtlich gesegnet mit einer Amnestie.

Die Großen läßt man laufen – das hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack. Rachegelüste sind erst einmal schön, denn sie stiften Identität. Aber der Umgang mit kriminellen Herrschern ist niemals einfach. Ihre Statur steigt mit dem Ausmaß ihrer Untaten. Man läßt die Großen laufen, wenn sie größer sind als ihre Verfolger. So kam es, daß Panamas Ex-Diktator Noriega nach der Besetzung seines Landes problemlos in den USA abgeurteilt werden konnte und daß zur Stunde die im Guerillakrieg geschlagenen Ex- Diktatoren Äthiopiens vor Gericht stehen; daß aber historische Kompromisse wie in Südafrika oder Chile nur „Wahrheitskommissionen“ statt Prozeßlawinen produzieren. Wo die Großen zu groß sind, muß Aufklärung als niederer Ersatz für Sühne herhalten, obwohl im Endeffekt ja auch Schauprozesse gegen Staatsverbrecher genauso um der Wahrheitsfindung wie um der Bestrafung willen geführt werden. Man kann natürlich auch beides haben – also gegen einen Ex-Diktator das Todesurteil aussprechen und es dann nicht vollstrecken, wie es im vergangenen Jahr im fernen Mali geschah.

Natürlich führen übertriebene Angst und Zurückhaltung nur dazu, daß Täter ruhig schlafen können. Die Chancen, daß die seit Jahren angekündigten Kriegsverbrecherprozesse gegen die Verantwortlichen für die Verbrechen in Ex-Jugoslawien tatsächlich einmal stattfinden, stehen gleich Null, da kein Serbenführer sich dem Internationalen Gerichtshof stellen wird und auch nicht Verhaftung auf fremdem Boden befürchten muß. Das gilt zuweilen auch dort, wo es bereits Sieger und Besiegte gibt: Die Verantwortlichen für den Völkermord in Ruanda, erst am Montag von einer UNO-Kommission benannt, sitzen immer noch unbehelligt unter UNO-Aufsicht in zairischen Flüchtlingslagern.

Aber wer die Amerikaner in Haiti ob ihrer Samthandschuhe tadelt, muß die Alternative nennen. Hätten die USA auf Strafverfolgung und Prozesse drängen sollen, wohl wissend nach ihrem Somalia-Debakel, daß dann konsequenterweise die Wiederholung der ersten, blutigen amerikanischen Besatzungszeit zwischen 1915 und 1934 anzudrohen wäre? Oder sollte man Cédras gleich gegen die Wand stellen und erschießen wie einst Ceausescu? Es wäre eine Variante totalitären Denkens, würde man Hoffnungen auf zivilisatorischen Fortschritt an die Haftbarmachung aller Schlächter der Welt knüpfen. Wer Interventionssoldaten mit rächenden Engeln und das Den Haager Tribunal mit dem Jüngsten Gericht verwechselt, will das Paradies auf die Erde holen. Erst vor einem Jahr wollten amerikanische UNO-Truppen, als ob sie sich im Jahrhundert geirrt hätten, Somalias Hauptstadt Mogadischu ausräuchern, den Milizenchef Farah Aidid wie einen Kannibalenführer einfangen und vor Gericht bringen. Heute, viele UNO-Mißerfolge später, läßt sich ein führender UNO-Beamter in Mogadischu mit dem Satz zitieren: „Was wir hier wirklich probieren, ist, eine Junta von der Art einzusetzen, wie sie die Amerikaner in Haiti gerade zu vertreiben versuchen, und dann abzuhauen.“ Manchmal gleicht die Erde eben doch einem Fußballfeld, wo es nur Punktsieger gibt. Dominic Johnson

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