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Sozialismus mit Bindestrich

■ Britische Labour Party rückt zur Mitte

Dublin (taz) – Eine Stunde hatte der britische Labour-Chef Tony Blair am Dienstag nachmittag auf dem Parteitag in Blackpool geredet, ohne seine Politikvorstellungen zu konkretisieren. Er hatte die Torys rituell verdammt und mit den Delegierten von einer rosigen Zukunft unter einer Labour-Regierung geträumt. Dann sagte er den Satz, der in den Augen vieler Parteimitglieder Blackpool in das „Bad Godesberg der Labour Party“ transformierte: „Es ist an der Zeit, daß wir eine deutliche, zeitgemäße Darstellung der Ziele unserer Partei haben.“

Es dauerte eine Weile, bis die Delegierten begriffen, was Blair damit meinte: Der Paragraph 4 der Parteisatzung wird abgeschafft. Darin geht es um das „gemeinsame Eigentum an den Produktionsmitteln“, das „die gerechteste Verteilung“ des Wohlstands sichern soll. Zwar ist die Labour Party bereits in den vergangenen Jahren von dem Versprechen abgerückt, die Privatisierungspolitik der Torys rückgängig zu machen.

Doch der Paragraph 4 der Parteisatzung aus dem Jahr 1918 hat hohen Symbolwert: Er prangt auf den Labour-Mitgliedsausweisen. Die Parteilinke sagte daraufhin Blair den Kampf an. Arthur Scargill von der Bergarbeiter-Gewerkschaft NUM behauptete, Blair habe „der Labour Party den Krieg“ erklärt.

Blair, der nach dem Tod von John Smith im Juli zum neuen Parteichef gewählt worden war, wurde für seine rhetorisch geschickte Rede mit stehenden Ovationen belohnt. Die Delegierten trauen dem Parteichef im dunklen Anzug und mit dezenter Krawatte genug Populismus zu, um das „modernisierte Produkt Labour Party“ in zwei Jahren erfolgreich an die WählerInnen zu bringen.

Labour ist auf diesem Parteitag noch mehr zur Partei der Mitte geworden – das zeigt auch die Veränderung der Sprache bei der Labour Party. Nannte man die Parteichefs bisher beim Namen, so ist auf der Bühne in Blackpool nur noch vom „Leader“ die Rede. Der Führer erwähnt zwar ab und an noch den Sozialismus, aber nur mit Bindestrich: „Sozial-ismus“. Und hegte die Parteilinke noch Illusionen, so hat Blair damit aufgeräumt: „Es ist nicht der Sozial-ismus von Marx und Staatskontrolle“, sagte Blair in seiner Rede. „Dem Individuum geht es am besten in einer starken und ehrlichen Gemeinschaft von Menschen mit Prinzipien und Normen und gemeinsamen Zielen und Werten.“ Die „Genossen“ von gestern heißen bei Blair „Freunde und Kollegen“, ihr Einfluß auf die Labour-Politik wird stetig zurückgedrängt. „Die Parteimitglieder werden immer mehr zum Fußvolk degradiert“, sagte ein Labour- Mann gestern zur taz. „Die Entscheidungen werden vom Parteiführer gefällt.“ Ralf Sotscheck

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