Und ewig fließt das Blut

■ In Bremerhaven eröffnet die Spielzeit mit Federico Garcia Lorcas „Bluthochzeit“/ Das Stadttheater eisig und glühendrot

Die Bühne ist eine Arena, der Boden mit Sand bedeckt, nach hinten im Oval mehrere hoch ansteigende Sitzreihen. Dort werden zum Schluß schwarz gekleidete Frauen Platz nehmen. sie sind Gäste der ,,Bluthochzeit“, sie sind Zeugen eines Geschehens, das Federico Garcia Lorca schon in den ersten Sätzen seiner ,,lyrischen Tragödie“ anzeigt, und das mit unerbittlicher Konsequenz zum blutigen Ende führt. Es ist die Geschichte einer Braut, die in der Hochzeitsnacht ihrem Bräutigam wegläuft, weil sie ihren Liebhaber nicht vergessen kann. Es ist die Geschichte zweier Liebernder, die aus einer Gesellschaft zu fliehen versuchen, der sie nicht entkommen können. Es ist die Geschichte zweier Männer, die sich im Kampf um eine Frau gegenseitig ins Messer stürzen. ,,Bluthochzeit“ ist schließlich die Geschichte von alten und jungen Frauen, die ihr Leben lang eingesperrt sind in gesellschaftliche Normen und ein strenges, lebensfeindliches Sittengesetz.

Lorca hat sein gewaltiges Poem aus einer Notiz entwickelt, die er Ende der zwanziger Jahre in der Madrider Tageszeitung fand. Was passiert mit dieser befremdenden Geschichte 1994 in einem deutschen Stadttheater?

Holger Schultze zeigt in seiner ersten Bremerhavener Inszenierung, daß Lorcas Dichtung vom blutigen Kampf zwischen leidenschaftlicher Liebe und der Macht der Regeln nicht überholt ist. Er zeigt, daß Lorcas Reize nicht in spanischer Folklore bestehen, und er zeigt vor allem, daß ein diszipliniertes Stadttheater-Ensemble in der Lage sein kann, die geforderte Intensität zu spielen, ohne in Kitsch oder peinliches Pathos umzukippen.

Der Regisseur verordnet Lorcas Figuren streng stilisierte Haltungen, eine bis ins Detail ausgefeilte Choreografie sparsamste Bewegungen und eine genau rhythmisierte Sprache. Fast erstarrt begegnen sich in der Eingangsszene der Bräutigam (Christoph Maria Herbst) und seine Mutter (Christel Leuner), die dem Sohn in Erinnerung an ihren ermordeten Mann kein Messer auf dem Weg zur Feldarbeit mitgeben will. In der Arena – dem Ort der gesellschaftlichen Kontrolle alles privaten Lebens – sind alle Begegnungen gefesselt, die Menschen voneinander entfernt und eingefroren. Selbst der dunkle Wald schützt die Liebenden nicht vor dem Licht des grausamen Mondes, auch auf dem Höhepunkt ihrer Flucht gibt es keine körperliche Nähe zwischen der Braut (Antonia Gottwald) und ihrem Geliebten Leonardo (Raimund Merker). Der Preis für diese radikale Reduzierung ist hoch: Holger Schultze will zeigen, wie die Menschen erkalten, er geht die Gefahr ein, daß seine Bilder blutleer bleiben,und seltsam steif, so daß die verborgene Hitzigkeit, der heimliche Wärmestrom zwischen diesen Menschen zu wenig spürbar wird. Er setzt gegen das sparsame Spiel den hohen Reiz der schönen Bilder, er malt mit Licht und Schatten, mit wenigen kontrastierenden Farben, wie man es in Bremerhaven noch nicht gesehen hat (Bühne: Odilia Baldszun). Er unterstreicht die starke Wirkung mit Passagen aus einer Bach-Kantate. Höhepunkt ist das Wald-Bild zu Beginn des dritten Akts, wenn die drei Männer, die Lorca als Holzfäller auftreten läßt, mit nackten, leicht geröteten, Oberkörpern aus dem Sand ragen, um dem flüchtenden Paar viel Glück zu wünschen, und der Mond als weiß maskierter Kopf aus dem Boden guckt. Daß eine Frau (Annette Otterbein) seine Worte als Arie in 12-Ton-Manier singt wirkt hier keineswegs maniriert. Dieser Mond war leider kaum zu verstehen, den magischen Reiz der Szene hat das nicht gestört.

,,Bluthochzeit“ in Bremerhaven: Das ist präzises Ensemble-Spiel, das ist die überragende Leistung von Christel Leuner als verhärmte, verbitterte, liebende und hassende Mutter, das sind malerische Bilder, und das ist ein neuer Oberspielleiter, der diesem Schauspiel seinen Stempel aufdruckt, und es offenbar aus der Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit heraushollt.

Hans Happel

Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus die nächsten Vorstellungen: 14.10. und, 21.10.