: Kohl als Telefonzelle?
■ Lafontaine macht Wahlkampf in Bremen – die Bremer Kandidaten schauen zu
Der 50jährige Stamm-Sozi hatte sogar den Sohn mitgebracht. „Na, ist der nicht toll“, fragte er den Sohn alle Minute und haute ihm auf die Schenkel. Der, zunächst sichtlich skeptisch, läßt sich von der Rhetorik der Stimmungskanone Oskar Lafontaine einholen. Am Mittwoch gastierte der saarländische Ministerpräsident in Bremen, genauer im Bürgerzentrum Neue Vahr. Und wie es sich für einen modernen Bundestagswahlkampf in SPD-Manier gehört, gab es den prominenten Politiker gleich im Dreier-Pack: Nämlich mit den zwei Bremer Bundestagskandidaten Volker Kröning und Konrad Kunick im Arm. Doch die beiden Kandidaten blieben an diesem Abend blaß auf ihrem Weg in den Bundestag. Die Show vor den knapp 1.000 Interessierten gehörte ganz alleine IHM.
Kunick ließ den Kelch der Rede gänzlich an sich vorüberziehen, doch immerhin nutzte ihn der ehemalige Bremer Finanzsenator. Kröning setzte dabei mit Blick auf Bonn ganz auf die Gemeinsamkeiten der beiden kleinen Länder: „Wir wissen in Bremen wie im Saarland, daß man die Krise als Chance der Erneuerung nutzen muß.“ Eine notwendige soziale und umweltverträgliche Modernisierung der Wirtschaft ginge eben in der kommenden Bundesregierung nur mit der SPD. Und deshalb gab es auch Vorschußlorbeeren an die Adresse seines stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden: „Oskar Lafontaine steht für Wahrhaftigkeit in der Finanzpolitik.“
Lafontaine stand an diesem Abend jedoch auch für einen kabarettistischen Auftritt. Mit eindrucksvollen Kanzler-Parodien im Stile Thomas Freitags hatte er sein Publikum schnell im Griff. „Bei jeder Wahl“, so Lafontaine, „wird Kohl zum Blumen-Kohl. Alles blüht, doch über die Arbeitslosigkeit redet er nicht. In seinem Wahlkampf geht es nur um die PDS. Nicht wir, sondern Kohl braucht sie, sonst hätte er ja überhaupt kein Wahlkampf-Thema.“ Und obwohl der Bundesminister in spe noch zwei Stunden zuvor in Hamburg die Werbetrommel geschlagen hatte, blieb Lafontaine dem Image des beeindruckenden Redners treu.
Als Themen der SPD für einen Wechsel der Bundesregierung nannte der Schultermann Scharpings Altbekanntes. „Wir wollen einer Außenpolitik widerstehen, die sich immer mehr militarisiert“, erklärte Lafontaine. Die neue Richtung heißt: Weltweite Verantwortung übernehmen ohne Kampfeinsätze der Bundeswehr außerhalb der Nato und vor allem ohne Waffenexporte. Zu den Gefahren einer atomaren Verseuchung der Erde stellte der Ministerpräsident fest: „Wer die atomare Gefahr bannen will, der muß aufhören, im eigenen Land Atom-Technik zu produzieren.“ Wären die Milliardenbeträge, die für die Atomkraft „in den Sandgesetzt wurden“ in regenerierbare Energien wie die Solarzelle gesteckt worden, „dann hätten wir heute einen Exportschlager, auf den die ganze Welt wartet.“
„Wenn man Kohl mit einer Telefonzelle vergleicht“, erklärte Lafontaine zu allgemeinen Erheiterung, „fällt auf, daß man bei einer Telefonzelle erst zahlt und dann wählt. Bei Kohl heißt es: Erst wählen und dann zahlen.“ Womit wir wieder bei Bremen sind. Das nämlich „würde als Bundesland davon profitieren, wenn in Bonn eine andere Politik gemacht wird“, meinte der Vorsitzende des Unterbezirks Ost, Wolfgang Grotheer. Doch da war der prominente Politiker schon wieder abgerauscht auf Wahlkampf-Tour. Und wie eine interessierte Dame hätten wohl noch so manche ein paar Fragen gehabt, wie: „Ich habe einfach nicht verstanden, wie denn Herr Lafontaine die seine Politik finanzieren will.“ André Hesel
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