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Verfassungswidrige Bundeswehr-Hilfe

■ Nächtlicher Soldaten-Einsatz beim Sperren-Bau am 3.10. / Viele Verfahren wegen Randale

Zum 3. Oktober waren in Bremen nicht nur 2.500 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz aus mehreren Bundesländern im Einsatz. Bei der Verteidigung des Kongreßzentrums gegen Angriffe von DemonstrantInnen haben auch Soldaten der Bundeswehr geholfen. Während der Bremer Bundeswehr-Sprecher, Oberstleutnant Menzel, gestern erklärte, es habe sich dabei ausschließlich um „technisch-logistische Unterstützung als Amtshilfe für die Polizei“ gehandelt, wollen Beobachter des Geschehens an der Kongreßhalle Soldaten auch dabei beobachtet haben, wie sie beim Bau und der Verteidigung der Stacheldraht-Barrikaden halfen. Dies wäre ein eindeutiger Verstoß gegen das Grundgesetz.

Nach dem 1968 im Zuge der Notstandsgesetze ins Grundgesetz aufgenommenen Artikel 87a ist ein Einsatz der Bundeswehr im Inland neben der Hilfe bei großen Unfällen und Naturkatastrophen ausdrücklich nur „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ zulässig, „wenn die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen“. Alle einschlägigen Grundgesetz-Kommentare – auch der von Maunz, Dürig und dem heutigen Bundespräsidenten Herzog herausgegebene – sind sich einig, daß diese Regel sehr eng auszulegen ist, um zu verhindern, daß die Bundeswehr schleichend zum Faktor der Innenpolitik wird.

Unumstritten ist, daß der Bremer Senat bei der Bundesregierung um logistische Unterstützung des Polizeieinsatzes durch die Bundeswehr gebeten hat. „Das Verteidigungsministerium hat diese Amtshilfe genehmigt“, sagt Bundeswehr-Sprecher Menzel. So seien auswärtige Polizisten in Bremer Bundeswehrkasernen untergebracht und verpflegt worden. Außerdem hätten Bremer Soldaten die „Druckgitter“ genannten Absperrungen „mit LKW herangeholt und in der Nacht zum 3.10. vor dem Kongreßzentrum abgeladen“. Es habe sich dabei aber nicht um Sperren der Bundeswehr, sondern der Polizeien anderer Bundesländer gehandelt, so Menzel. Und nach dem Abladen seien die Soldaten wieder abgezogen.

Dieser Version der nächtlichen Vogänge widersprechen nicht nur Beobachter, sondern auch Bremens Polizeipräsident Rolf Lüken. „Die Bundeswehr hat uns ihre eigenen Druckgitter ausgeliehen“, sagte er gestern auf Anfrage, „und sie wurden von der Polizei gemeinsam mit den Soldaten aufgestellt“. Einzelne Soldaten hätten sich dazu ohne direkten Auftrag spontan entschlossen. Polizeipräsident Lüken: „Ich habe damit keine Probleme.“ Aufgrund solcher „Peanuts“ solle man nun keinen Verfassungsverstoß „konstruieren“.

Unterdessen hat gestern die Bremer Justizbehörde die Kritik an den Untersuchungsrichtern im Zusammenhang mit dem 3. Oktober zurückgewiesen. Innensenator Friedrich van Nispen und Polizeipräsident Lüken hatten dem amtsrichterlichen Notdienst vorgeworfen, Randalierer am Tag der Einheit nach der polizeilichen Ingewahrsamnahme zu schnell wieder auf freien Fuß gesetzt zu haben. Insgesamt seien von 70 Festgenommenen am Vortag des Feiertages nur vier Personen den Richtern vorgeführt worden, am Tag der Einheit von 276 Festnahmen nur zehn Personen. Weitere Anträge habe die Polizei nicht gestellt und in keinem der vorgelegten Fälle eine schlüssige Begründung für die Ingewahrsamnahme liefern können, hieß es in einer Erklärung der Justizbehörden.

Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Randalierer angekündigt. Betroffen seien alle, die während des Wochenendes wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot in Gewahrsam genommen worden seien. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung, weil Polizisten durch Steinwürfe und Katapultschüsse zum Teil erheblich verletzt worden seien. Auch die Mißhandlung eines Demonstranten durch die Polizei werde die Staatsanwaltschaft prüfen. Ase/dpa

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