: Wie der Stahl genordet wurde
Prüfer der EU decken Subventionsschummel in der Stahlindustrie der Hansestadt auf / Stehen die Hamburger Stahlwerke vor dem Ende? ■ Aus Hamburg Florian Marten
Die Krise in Hamburgs Schwerindustrien hält an. Nachdem die Hamburger Aluminiumwerke nur mit kräftigen Strompreissubventionen vor der Schließung bewahrt werden konnten, stehen jetzt die benachbarten Hamburger Stahlwerke (HSW) vor dem Ende. Dem chronisch defizitären Unternehmen, seit mehr als zehn Jahren nur noch mit Stadtstaatsbürgschaften über Wasser gehalten, könnte von einem EU-Prüfbericht der endgültige Garaus gemacht werden.
In einer streng vertraulichen Regierungsvorlage bereitet sich der Hamburger Senat schon einmal auf das Schlimmste vor: „Nach den bisherigen Kontakten mit den Vertretern der EU-Kommission ist davon auszugehen, daß die bisherigen Hilfen für HSW formell rechtswidrig sind.“ Die Folge: Die HSW müßten fast 200 Millionen Mark, durch städtische Bürgschaften gedeckte Kredite, zurückzahlen – ein Ding der Unmöglichkeit. Der Konkurs der HSW scheint unvermeidlich. Letzte Hoffnung ist ein Verkauf der HSW – ob das klappt, ist noch sehr fraglich.
Dabei hatte alles einmal so schön begonnen. Hat nicht die Elbe tiefes, schönes Wasser, fragten sich Hamburgs Stadtväter in den sechziger Jahren. Lockten nicht leere Kuhweiden? Fehlte es nicht an wirklich schmutziger Industrie? Eben! Mit der weisen Vorahnung vom nahen Ende der wirtschaftswunderlichen Jahre machten sich Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein an das gigantische Projekt der „Industrialisierung der Unterelbe“: Die idyllische Unterelberegion zwischen Hamburg und Cuxhaven, voller Obstbäume und reetgedeckter Fachwerkbauernhäuser, sollte sich in ein „Ruhrgebiet des Nordens“ verwandeln. „Saubere Kernkraft“ und „moderne Schwerindustrien“, sollten Handelsmetropole und Bauernland in ein Industriearbeiterparadies verwandeln.
Die Phantasien der norddeutschen Planer erhielten in den ölkrisengeschüttelten Siebzigern zwar einen mächtigen Dämpfer. Das Ergebnis kann sich dennoch sehen lassen: Die AKWs Stade, Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel, gewaltige Schwerindustriereviere bei Brunsbüttel und Stade und in Hamburg die Stahl- und Aluminiumwerke auf ehemaligem Obstbauernland. Hamburg allein hat bislang mehr als 5 Milliarden verlorene Mark in die, wie heute selbst Senatsvertreter einräumen, irrige Wirtschaftsentwicklung gesteckt, schätzen Insider.
Als 1969 der badische Stahlindustrielle Willy Korf sein damals hochmodernes Elektrostahlwerk in Hamburg einweihte, glaubte die Stadt – schon damals mit 120 Millionen Mark Bürgschaften dabei – ihr Geld gut angelegt, obwohl schon damals Kritiker warnten. Doch das Stahlwerk florierte. Bis 1982, in der großen deutschen Stahlkrise, die Ruhrgebietskartelle den Aufsteiger Willy Korf aus dem Spiel kickten. In hektischer Aktivität suchte Hamburg nach einem Ausweg. Die taz beschrieb das Dilemma in ihrer Ausgabe vom 7. Dezember 1982 als Vabanquespiel zwischen „EG-Richtlinien und Konkurs“: „Die Stadt darf aufgrund der EG-Richtlinie keine Direktsubventionen zahlen, zum anderen soll aber das Stahlwerk, in welchem bereits 120 Millionen Mark Stadtstaatsbürgschaften stecken, mit weiteren 80 Millionen Mark über Wasser gehalten werden. Ausweg des Senats: die Unterstützung der Gründung einer privaten Auffanggesellschaft, der unter anderem das SPD-Mitglied Dr. Gerd Weiland, Haushaltsausschußvorsitzender und Konkursverwalter der HSW, angehören wird.“
Und tatsächlich: Der Multifunktionär Gerd Weiland, Konkursverwalter, graue SPD-Eminenz (half einst tatkräftig beim Sturz von Bürgermeister Hans-Ulrich Klose mit) und Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Stadtparlaments, wurde schließlich zusammen mit dem früheren Korf-Manager Wolf-Dietrich Grosse Inhaber und Geschäftsführer der HSW. Der Senat ebnete seinem Genossen fürsorglich den Weg: Mit Bürgschaften sicherte die Stadt nicht nur Betriebskredite der Hamburger Landesbank an die HSW, sondern sogar ein Eigenkapitaldarlehen an Gerd Weiland.
Gerd Weiland steig in seiner Vielfachfunktion als Leiter des bedeutendsten Rechtsanwalts- und Notarbüros Hamburgs, als Industrieller und als heimlicher SPD- Herrscher (SPD-Bürgermeister Henning Voscherau ist sein politisches Ziehkind) zu einem der bis heute mächtigsten und einflußreichsten Männer Hamburgs auf.
Den HSW ging's in den 80er Jahren nicht überragend, sie hielten sich aber über Wasser. Weiland und Grosse gelang es – diesmal mit einem Kredit einer HSW-Tochter – mit der Übernahme der Westdeutschen Drahtindustrie (WDI) ihren Stahlbesitz auszuweiten.
Pikant gestalteten sie die Geschäftsbeziehungen zwischen HSW und WDI: Fünf Millionen Mark pro Jahr zahlen die HSW an die WDI nur für das Recht, Stahl an die Drahtzieher verkaufen zu dürfen. Zwar scheint dieser Deal legal, aber er ist „nicht branchenüblich“, meint heute nicht nur die Hamburger CDU.
Seither steht der Verdacht im Raum, potentielle Gewinne seien von den HSW an die WDI verschoben worden. Als 1992 die HSW erneut Richtung Konkurs drifteten, gelang es Stadtchef Henning Voscherau, der inzwischen fürchten mußte, eines Tages selbst im Filzsumpf seines Genossen Weiland unterzugehen, die Vergabe weiter Bürgschaften an einen Rückzug Weilands von den HSW zu koppeln. Der lukrative und einträgliche WDI-Anteil (Weiland hält ein Drittel) blieb allerdings unangetastet. Dabei blieb es bis heute. Ein schweres Handicap für die aktuellen Verkaufsbemühungen der Stadt: Der einzig ernsthafte Interessent, die Badischen Stahlwerke (BSW), besteht auf einer Paketlösung inklusive WDI. Gerd Weiland freilich möchte von seinem WDI-Anteil nicht lassen und blockiert so den HSW-Verkauf.
Dabei hatte der sozialdemokratische Stahlmagnat schon wieder Großes im Sinn: Mit zwei Partnern bemüht er sich um die Übernahme von Eko-Stahl in Eisenhüttenstadt. Der gewiefte Konkursverwalter, erfahren in der Umwandlung von Staatshilfen in privates Stahlkapital, will mit seinem „Hamburger Konsortium“ nun auch beweisen, daß er nicht nur mit sozialdemokratischen, sondern auch mit realsozialistischen Industrialisierungsruinen umzugehen weiß.
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