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„Die Gefahr des Mißbrauchs ist da“

■ Jörg Epplen, Arzt und Humangenetiker an der Uni Bochum, zur Bioethikkonvention

Am Mittwoch hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats die Bioethikkonvention abgelehnt, unter anderem weil sie eine fast unbeschränkte Forschung mit Embryonen bis zum 14. Tag vorsieht. Jetzt muß das Dokument neu formuliert werden.

taz: Was wird heute schon in der Embryonenforschung gemacht?

Epplen: Dazu muß man die verschiedenen Formen der Embryonenforschung unterscheiden. Die klinische Forschung hat diagnostische oder therapeutische Motive. Zum zweiten gibt es die Grundlagenforschung. In der öffentlichen Diskussion spielen aber vor allem solche Forschungen wie die in Seattle durchgeführte Klonierung eines menschlichen Individuums – also die Herstellung von genetisch identischen, eineiigen Mehrlingen – eine große Rolle.

Wie beurteilen Sie das?

Ich sehe in diesem Experiment keinen Sinn. Die Forscher dort begründen ihr Tun damit, daß man Ersatzteillager anschaffen kann für Individuen, die geboren werden, indem man zum Beipiel einen eineiigen Zwilling auf Eis legt und ihn auftaut, wenn man ihn braucht.

Um ihm eine Niere zu entnehmen, müßte er voll entwickelt sein?

Man müßte eine Nierenstammzelle in Kultur nehmen. Ob das gelingt, ist sehr fraglich.

Sie sind aber nicht grundsätzlich gegen menschliche Embryonenforschung.

Wenn Sie eine diagnostische Embryonenforschung meinen, bei der man aus einem achtzelligen Embryo eine Zelle entnimmt, um der Frau die Sicherheit zu geben, daß das werdende Kind gesund sein wird, dann bin ich nicht dagegen. Das ist in Deutschland zur Zeit nicht erlaubt. Erlaubt ist aber, wenn in der 12. oder 18. Schwangerschaftswoche ein Erbdefekt nachgewiesen wird, das Kind abzutreiben.

Also sollen kranke Kinder abgetrieben werden?

Was heißt soll? Die Frau kommt zu uns mit der Frage: Wird mein Kind krank oder gesund sein? Wir geben ihr die Diagnostik. Sie entscheidet autonom.

Da besteht doch die Gefahr einer privaten Eugenik, bei der die Leute dann sagen: Ich will nur ein blondes, blauäugiges Kind.

Private Eugenik gibt es nicht. Eugenik heißt die Verbesserung des Erbgutes auf Populationsniveau.

Sehen Sie denn nicht die Gefahr, daß eine Politik auf die Verbesserung des Erbguts abzielen könnte?

Was heißt Verbesserung des Erbguts? Da gehen die Meinungen weit auseinander. Radikale Behinderte sagen zum Beispiel: Sinn des Lebens ist es, behindert zu sein. Also plädieren sie dafür, daß nur Behinderte auf die Welt kommen. Es ist im Prinzip Sache der Mutter, zu entscheiden, ob das Kind mit Behinderung auf die Welt kommt oder nicht. Die Gefahr des Mißbrauchs ist da.

Darum muß man doch erst die ethischen Grenzen ziehen, bevor man losforscht.

Das ist in gewissen Bereichen richtig. Die Max-Planck-Gesellschaft hat sich ein Moratorium auferlegt zur Embryonenforschung. Das hat solche Experimente wie in Seattle aber nicht verhindert.

In Großbritannien gibt es ja bereits „verbrauchende“ Embryonenforschung.

Ich würde ein neutraleres Wort benutzen: fremdnützige Embryonenforschung. Die Embryonenforschung in Großbritannien ist sehr alt. Es gibt da eine nachdenkliche Vertreterin, die ich sehr gut kenne. Sie hat lange mit sich gerungen, ob man Forschung bis zum 14. Tag zulassen soll. Man kann da nicht sagen, solche Forschung ist richtig oder falsch. Wenn ich sehe, jemand ringt bei solchen Fragen so mit sich, kann ich nur meine Hochachtung aussprechen. Interview: Annette Jensen

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