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Vierzehn Millionen Ägypterinnen

■ Eine CNN-Sendung und eine Gesetzesinitiative lösten in Ägypten Streit über das Tabuthema Mädchenbeschneidung aus / Erfolg und Scheitern der Gesetzesinitiative werden davon abhängen, wie sich das ...

Eine CNN-Sendung und eine Gesetzesinitiative lösten in Ägypten Streit über das Tabuthema Mädchenbeschneidung aus / Erfolg und Scheitern der Gesetzesinitiative werden davon abhängen, wie sich das religiöse Establishment zu der Frage stellt

Vierzehn Millionen Ägypterinnen

Schon seit Jahren kämpfen ägyptische Frauengruppen und ein Teil der Ärzteschaft gegen die in Ägypten weit verbreitete Beschneidung der Mädchen an der Klitoris. Bisher allerdings im Hintergrund, und ohne öffentliche Diskussionen anzuregen. In der letzten Woche hat nun der Bevölkerungsminister eine Gesetzesinitiative gegen diese Tradition angekündigt. Sein Argument: „Die Religion verbietet Praktiken, die der Gesundheit schaden.“ Danach soll in Zukunft die Praxis der Entfernung der Klitoris unter zunächst milde Strafe gestellt werden.

Die Statistik zeigt, welche Probleme dem Minister bei dem Versuch, die Mädchenbeschneidung rechtlich zu kriminalisieren, bevorstehen. Mindestens jede zweite Ägypterin ist beschnitten. Manche Schätzungen gehen sogar davon aus, daß über 70 Prozent der Frauen in Kairo mit der Verstümmelung leben. Auf dem Land soll die Quote bei bis zu 90 Prozent liegen. Vor zwei Jahren sprach ein Bericht des US-amerikanischen „Women's Watch Project“ von fast 14 Millionen Ägypterinnen, an denen der Ritus vollzogen wurde.

Erfolg und Scheitern der neuen Gesetzesinitiative werden weitgehend davon abhängen, wie sich das religiöse Establishment zu der Frage stellt. Es sind Männer, die da streiten in der ägyptischen Presse, und sie streiten mit „islamischen Argumenten“. Gegner der weiblichen Beschneidung führen an, daß diese Tradition absolut nichts mit dem Islam zu tun hat. In anderen islamischen Ländern wie etwa Saudi-Arabien, der Wiege des Islam, ist dieser Ritus unbekannt. Selbst im Iran wird er nicht praktiziert. Dagegen wird dieser Brauch in Ägypten an muslimischen Frauen und koptischen Christinnen gleichermaßen ausgeübt. Es gebe, so die äpgyptische Soziologin Marie Assad, keine Anweisung dazu im Koran, der sonst sehr detailliert auf alle Aspekte des Lebens der Frauen eingehe. Konservative Scheichs widersprechen. Ägyptens berühmtester Fernsehprediger, Scheich Al-Scha'arawi, von manchen als einflußreichster Mann im Lande beschrieben, verteidigt die seiner Meinung nach islamische Tradition. Sie sei zwar im Islam nicht obligatorisch, aber die islamischen Rechtsgelehrten glauben, daß damit die „Ehre der Frau“ erhalten bleibe, ließ der Scheich gegenüber der islamistischen Wochenzeitung Al-Shaab verlauten. Er argumentiert mit der Sunna, der Überlieferung der Worte und Taten des Propheten Muhammad. Angeblich habe der Prophet im Zusammenhang der weiblichen Beschneidung gesagt: „Nehme ein wenig weg, aber zerstöre es nicht. Das ist besser für die Frau und wird vom Mann bevorzugt.“ Abdel Galil Schalabi, ein Mitglied des Ratwa-Komitees der Azhar-Universität, Kairos ältester islamischer Institution, stimmt in der gleichen Ausgabe von Al-Shaab ähnliche Töne an: „Ein kleines Stück der Klitoris zu entfernen ist zwar im Islam nicht verpflichtend, aber doch erwünscht“, erklärt er und wiederholt ein immer wieder von Konservativen und Beschneidungsbefürwortern vorgebrachtes Argument. Es sei erwiesen, so der prominente Rechtsgelehrte, daß bei einer unbeschnittenen Teenagerin „das überstehende Stück zwischen den Schamlippen die ohnehin in diesem Alter vorhandene sexuelle Erregung steigert, indem das Überstehende an der Kleidung reibt“.

Verstümmelung der Frau zur Kontrolle über die weiblichen Triebe. Aber die konservativen Scheichs raten auch zur Vorsicht. Zuviel des Guten könne die Sexualität im Eheleben beeinträchtigen. Dann nämlich, so Al-Scha'arawi, „wenn aufgrund der Beschneidung der Mann immer früher als die Frau das Stadium des Orgasmus erreicht“. Derartiges, fürchtet der Prediger, führe auf Dauer zu Komplexen bei der Frau und könne in Scheidung enden.

Die Gegner der Prozedur, die zu langfristigen psychischen Schäden bei den Frauen führen kann, ziehen ebenfalls mit islamischen Argumenten ins Feld. Mahmud Muhammad Khadr, ein anderer islamischer Rechtsgelehrter der Azhar-Universität, steuert in der staatlichen Tageszeitung Al-Ahram dem Kurs seiner konservativen Kollegen entgegen. Daß der Prophet irgendwann einmal im Zusammenhang mit der weiblichen Beschneidung von der „Ehre der Frau“ gesprochen hat, sei schlichtweg eine Lüge, schreibt er. Derartige Überlieferungen seien äußerst zweifelhaft. Was das „Nehme ein wenig weg, aber zerstöre es nicht. Das wird vom Mann bevorzugt“ betrifft, so hat Khadr eine andere Interpretation. Das „bevorzugt“, so der Rechtsgelehrte, beziehe sich auf das „zerstöre nicht“. Der Prophet wollte also nicht völlig mit der alten vorislamischen Sitte brechen, bevorzugte aber ihre Unterlassung.

Scheich Tantawi, der Mufti Ägyptens, des Landes höchster islamischer Rechtsgutachter, bereitet unterdessen den Boden für die Gesetzesinitiative des Bevölkerungsministers. „Wenn Ärzte sagen, daß die weibliche Beschneidung untersagt werden müsse, dann müssen wir deren Rat respektieren“, ließ er in der staatlichen Wochenzeitung Al-Musawar verlauten. Die Bescheidenheit junger Mädchen resultiere ohnehin „nicht aus der Beschneidung, sondern einer guten religiösen und moralischen Erziehung“, fügte er hinzu. Die Zeitschrift hatte die Geschichte mit dem Titelbild einer Beschneidungsszene aufgemacht. Noch wenige Wochen zuvor hatte die Ausstrahlung einer Beschneidungsszene im US-Nachrichtensender CNN zu einem Skandal geführt. Ein ägyptischer Anwalt forderte daraufhin 385 Millionen Mark Schadenersatz, da die Ausstrahlung dem Image des Landes geschadet habe. Nun ist das Tabuthema zum Inhalt einer öffentlichen Debatte geworden.

Die sudanesische Anti-Beschneidungs-Aktivistin Nahid Toubia, die selbst in Ägypten Medizin studiert hat, betont, daß die Tradition der weiblichen Beschneidung nichts mit dem Islam zu tun hat, und argumentiert historisch. Als der Islam aus den asiatischen Ländern wie dem Iran und der arabischen Halbinsel verbreitet wurde, brachte er nicht die Praxis der weiblichen Beschneidung mit sich. Als er aus dem ägyptischen Niltal wieder zurück in andere asiatische Kulturen verbreitet wurde, war der dortige vorislamische Brauch der Mädchenbeschneidung plötzlich Teil der religiösen Mission geworden.

Auf einer Papyrusrolle aus pharaonischen Zeiten, die im ägyptischen Museum in London ausgestellt ist, erzählt eine Mutter von der bevorstehenden Beschneidung ihrer Tochter – fast 800 Jahre bevor der Prophet Muhammad den Islam auf der arabischen Halbinsel offenbarte. Die gegenwärtige Debatte in Ägypten zeigt erneut deutlich, wie alte pharaonische oder afrikanische Traditionen heute islamisch legitimiert werden. Die Befürworter dieses Brauches sehen sich durch die islamisch gebotene „Erhaltung der Ehre der Frau“ gestützt. Gegner betonen dagegen, daß der Islam im Gegensatz zu anderen Religionen die weibliche Sexualität und das Recht der Frau auf sexuelle Befriedigung ausdrücklich anerkennt. Karim El-Gawhary

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