: Kreuz bei der SPD mit „Magenschmerzen“
■ Mehrzahl der wahlberechtigten Berliner Türken stimmt bei der Bundestagswahl vermutlich für SPD / FDP im Aufwind
Nur 7.600 Türken deutscher Staatsangehörigkeit in Berlin dürfen am 16. Oktober zur Wahl gehen. Der Geschäftsführer des Berliner Bundes der EinwandererInnen aus der Türkei, Kenan Kolat, glaubt, daß die meisten der SPD ihre Stimme geben werden. Ausschlaggebend sei deren Sozialpolitik. Da viele Türken kinderreiche Familien hätten, würden Leistungen wie Kindergeld im Vordergrund stehen. Außerdem könne nur eine Koalition ohne die CDU die doppelte Staatsbürgerschaft bringen.
Das bestätigt auch eine Umfrage des Essener Zentrums für Türkeistudien, bei der bundesweit knapp 1.500 Einwanderer befragt wurden. Danach würden 42 Prozent der SPD ihre Stimme geben. Glaubt man Kolat, wählen viele die SPD „nur mit Magenschmerzen“. Denn was die Auslandspolitik betreffe, stünden viele der FDP näher. Die Umfrage ergab, daß inzwischen zehn Prozent ihr Kreuz bei der FDP machen würden. Die Ursache für diesen „Umschwung“ sieht Kolat in deren „moderaterer PKK-Politik“ unter Bundesaußenminister Klaus Kinkel.
In den letzten Tagen gingen die Liberalen mit Anzeigen in der in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitung Hürriyet auf Stimmenfang. Mit Fotos von Kinkel und der Bundesausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen setzt sich die FDP unter anderem für die doppelte Staatsbürgerschaft ein. Zwar stünden auch die SPD, die PDS und die Grünen zu einer doppelten Staatsbürgerschaft, aber deren „PKK-nahe Politik“ komme sehr schlecht bei der türkischen Bevölkerung an, so Kolat. Für die CDU sieht er bei den türkischen Wählern ziemlich schwarz. „Die hat wegen des Christentums wenig Chancen.“
Kolat, der in den nächsten Tagen die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, ist überzeugt, daß die meisten der wahlberechtigten Türken in Berlin von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Täglich erkundigten sich viele telefonisch bei ihm über die Wahlformalitäten. Im türkischen Fernsehen wird in Informationssendungen über Erst- und Zweitstimme und die Ausländerpolitik der Parteien informiert. „Wir rufen auf, an den Wahlen teilzunehmen“, so Kolat, „aber weil wir überparteilich sind, sagen wir natürlich nicht, welche Partei gewählt werden soll.“
Insgesamt besitzen 11.000 Türken in Berlin die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Großteil von ihnen, mehr als 9.000, ließ sich nach Angaben der Senatsverwaltung für Inneres erst zwischen 1990 und 1993 einbürgern. Barbara Bollwahn
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